ZEIT-Reise 2018: Mit dem Bus von Shanghai nach Hamburg


Schon wieder?

4. Juli 2018

Das mag sich der oder die eine oder andere nun fragen. 

Es ist noch kein Jahr vergangen, seit Manfred und ich von unserer zweimonatigen Busreise aus China quer durch die Welt nach Hause zurückgekehrt sind. Direkt danach war es so erleichternd anzukommen, zu wissen, wo der eigentliche Lebensmittelpunkt zu sein scheint, wo man sich in Gewohnheiten zurückfallen lassen konnte und wo sich alles so vertraut anfühlte. Nach und nach jedoch spürte ich, dass dem nicht ganz so war. Die lange Reise durch für mich exotische Länder, Kulturen und Landschaften und die zwischenmenschlichen Eindrücke hatten mich sanft aber nachdrücklich verändert.

Immer wieder fluteten Erinnerungsfetzen hoch, Momente von kleinen und großen Begegnungen und Erlebnissen, Landschaftsbildern, Stimmungslagen. Mir wurde klar, dass sich tatsächlich etwas grundlegend verändert hatte. Kurz und gut: Konsequenterweise löste ich meinen Laden auf, um mich neu zu orientieren, befinde mich momentan in einem neuen Fernstudiengang und stehe gespannt vor neuen Herausforderungen. 

Doch die Unruhe blieb. Stetig gab es kleine Anstupser, die das noch nährten: Gespräche und Treffen mit den "ZEIT-Reisenden" der Truppe 2017, das neue Buch von Gabriele Krone-Schmalz, das Eintreffen der Reise-Tagebücher der ZEITreisen und eines ehemaligen Mitreisenden, unsere Foto-Vorträge vor Freunden, Kollegen, Rotary etc., aber vor allem anderen: Sehnsucht. Sehnsucht danach, alte Träume zu verwirklichen (nicht umsonst habe ich Slavistik studiert), einmal eine Pionierreise mitzumachen (ist ja schon per se ein kleines Abenteuer) oder einfach: für sich selbst neue Grenzen zu stecken.

So, die Reise von Shanghai nach Hamburg per ZEIT-Bus ist nun also tatsächlich gebucht. Es gibt kein Zurück. Morgen geht es los.


TAG 1

5. Juli 2018

 

Heute, an unserem Hochzeitstag, macht uns Aeroflot ein ganz besonderes und unerwartetes Geschenk. Nachdem wir mit über einer Stunde Verspätung losgeflogen sind fliegt die Maschine so viele Schleifen über Moskau, dass wir unseren Anschlussflug nach Shanghai am Ende nicht mehr erreichen können. Erste Enttäuschung weicht den Angeboten der Fluglinie: Ein paar tausend Rubel zum Speisen, eine Übernachtung im Hotel auf dem Flughafengelände (und nicht auf engen Flugzeugsitzen) und ein Upgrade in die Business class!

Also feiern wir diesen besonderen Tag im Irish Pub auf dem Transitgelände des Flughafens und freuen uns auf den morgigen Tag! Wenigstens freuen sich dessen Betreiber, dass sie lernen, wie man ein richtiges Black N'Tan herstellt.


Tag 2

6. Juli 2018

Diesmal läuft alles wie am Schnürchen. Der Tag ist allerdings kurz, denn auch wenn wir bereits gegen 10 Uhr losfliegen und nur 8 Stunden wohlbetreut und richtiggehend verwöhnt in der Luft schweben, landen wir aufgrund der Zeitverschiebung erst um 23:30 Uhr in Shanghai. Die Metropole hat uns wieder! Auf dem Foto fliegen wir gerade über die Mongolei, die wir uns in Kürze genauer anschauen werden.

Aber nun gilt nur eines: Das gemütliche Bett im Grand Kempinski lässt uns in wohligen und verdienten Schlaf versinken...



Tag 3

7. Juli 2018

Ganz ganz früh, noch bevor wir schlaftrunken aus dem regentropfenbetupften Fenster auf den träge fließenden, grauen Huangpu hinab blicken, denken wir an Gudruns Geburtstag und singen ihr wohlklingende Hymnen auf Telegram. Mal schauen, ob das über den Äther saust und wohlbehalten bei ihr ankommt. 

Anschließend fahren Manfred und ich den vertrauten Hotel-Aufzug aus dem 22. Stock hinab und genießen unser erstes chinesisches Frühstück seit gefühlten Ewigkeiten - dabei ist das doch erst knapp 12 Monate her, seit ich begeistert mein erstes Tee-Ei in diesem schönen Haus genossen habe. Unsere ersten Schritte führen uns auf leisen Sohlen an einen Tisch am Ende des Frühstücksraumes zu einem Herrn in grünem Shirt, der dort genüßlich seine erste Tagesmahlzeit verzehrt. Thomas, der bereits letztes Jahr mit uns gereist ist, reißt die Augen auf - offensichtlich traut er diesen nicht. Der Herr in Grün wusste nämlich nicht, dass wir ebenfalls bei dieser Pionierreise dabei sein würden, freut sich nun aber sehr über die gelungene Überraschung!

Wie bereits im letzten Jahr fahren wir mit der neuen Gruppe in einem heimischen Bus zu uns bekannten und noch neu zu entdeckenden Lokalitäten. Dass Shanghai seit letztem Jahr von 24 auf 25 Millionen Menschen angewachsen ist, kann ich mir vorstellen. Das räumliche Ausmaß aber (100 km in die eine Richtung und 120 km in die andere) kann ich erst ermessen, als wir eine Halle besuchen, wo die Stadt in Miniaturen bis ins kleinste Detail nachgebildet ist - höchst beeindruckend (das Foto zeigt nur einen Ausschnitt)!

Danach besuchen wir eine bekannte Shanghaier Seidenmanufaktur, die mir bereits im letzten Jahr eine Maulbeerseidenbettdecke eingebracht hat, deren flaumige Leichtigkeit ich nie mehr missen möchte. Und genau dort passiert etwas, was wohl jeder in seinem Leben schon einmal erfahren hat, aber nicht so richtig glauben kann: wir treffen unseren hochgeschätzten chinesischen Reiseleiter Michael aus dem letzten Jahr just in dieser Manufaktur mitten in dieser riesigen Metropole genau zu dieser Uhrzeit zufällig wieder und fallen uns lachend in die Arme. Es ist ein sehr herzliches Wiedersehen und ich muss sagen, dass das doch ein spezielles Erlebnis ist, wenn sich fast 20% einer Gruppe mehr oder wenig zufällig und unabgesprochen exakt ein Jahr nach ihrem Zusammenkommen wiederfindet. Mehr denn je gilt der Satz: Die Welt ist klein.

 

Nun besuchen wir weitere Sehenswürdigkeiten, auch wenn die Regenzeit und ein gewisser Schlafmangel ihren Tribut einfordern. Alle sind tapfer und neugierig auf diese unglaubliche Stadt - und die neuen Mitreisenden. Erste spannende Gespräche mit dem China-Experten Oliver Harms, unserem chinesischen Reiseleiter Yun Chen (genannt Franz) und neuen Bekanntschaften aus der neuen Gruppe Hamburg (neben der zweiten Gruppe Shanghai) lässt uns erwartungsfroh der Dinge harren, die da auf uns zukommen werden.

Der Blick auf den Fluß heute Abend ist wunderschön, hier treffen sich gerade Alt und Neu, während der Pearl Tower neben unserem Hotel bei lauer Nacht in diesigen Nebel eintaucht.


4. Tag, 8. Juli 2018 

Endlich – voller Ungeduld warten wir auf die Ankunft UNSERER Busse. 

Die meisten Mitglieder unserer Truppe wissen natürlich noch nichts von der Tasse mit ihrem Namen, der aufgedruckten Streckenführung und dem kleinen Plüschpanda darin, die auf den ausziehbaren Tischen an ihrem bequemen Sitzplatz steht und die nun jeden Tag während der kleinen Pausen zwischendrin mit frischem Kaffee gefüllt werden wird. Sie wissen noch nichts von den freundlichen Busfahrern, die alle 2 Tage wechseln und mit netten Worten den Tag einleiten, kleine Geschichten erzählen und sie mit jeglicher Hilfeleistung unterstützen und zu einem wesentlichen Bestandteil der Gruppe werden. Sie wissen noch nichts von den Abläufen und Routinen, mit denen die Tage gefüllt werden. ABER – sie freuen sich sichtlich abenteuerlustig auf das Kommende. 

Wir, die wir schon so vieles von alledem wissen, sind schnell in die scheinbare Routine eingetaucht. Speziell während der Kaffeepausen ist vieles vertraut. Dennoch haben wir das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmt. Bis wir merken, was es ist: die Menschen, die Köpfe, die Körper der Menschen, die da vorne ihren Kaffee in die Tassen gießen, sind nicht die vertrauten aus dem letzten Jahr. Es sind die Neuen, an die wir uns nun gewöhnen müssen. Ich spüre da eine gewisse Leere, ein Befremden, aber weiß auch, dass das normal ist und sich im Laufe der Tage mehr und mehr etwas ganz Eigenes verdichten und neu erwachsen wird. 

Trotz des anhaltend vernebelten Tages fahren wir als erstes zum höchsten Turm Chinas, dem Shanghai Tower. Er wurde erst 2015 fertig gestellt. Mit einer Geschwindigkeit von 74 km/h (18-20m/sek.) rasen wir die 632m hinauf – und sind enttäuscht. Wir befinden uns nämlich komplett in Wolken, sehen außer weißen Fensterscheiben nichts. Aber wie immer meint es das Glück dann doch gut mit uns. Innerhalb von Minuten reißen die Wolken auf und wir blicken auf die gigantische Stadt Shanghai hinab. Sehr beeindruckt betrachten wir die kleinen Hochhäuser und die beiden 2. und 3. höchsten Türme Chinas, die direkt benachbart, aber weit unter uns liegen. 

Danach führt die Strecke der kraftstrotzenden schwarzen Neoplane über 500 km gen Norden, parallel zum Gelben Meer. Es regnet sich mehr und mehr ein, Monsunzeit eben. Gut, dass wir einen wunderbaren Reiseleiter dabei haben, der uns perfekt und einfühlsam auf die Reise einstimmt. Wolfgang Pohl versteht es sehr gut, Ängste und Sorgen so manchen „Neulings“ aufzulösen.  Zeitverkürzend sind ebenfalls erhellende Gespräche, die wir mit Oliver Harms, dem China-Experten führen können. Seit vielen Jahren lebt und arbeitet er vor Ort und ist höchst vertraut mit ökonomischen und politischen Gepflogenheiten aus Vergangenheit und Gegenwart und löst so manche Frage, die wir seit letztem Jahr mit uns herumschleppen. Genauso aber ist auch Franz, unser chinesischer Reisebegleiter bemüht, alle sonstigen Widrigkeiten ins Gegenteil zu verwandeln. Er lotst Ruven, unseren Fahrer, perfekt durch das Straßengewirr (da sonst ja niemand die chin. Schriftzeichen entziffern kann), ordert fürsorglich die richtigen Biersorten für unsere Separees am Abend und tauscht als selbst ernannte Franz-Bank unsere Währungen in chin. Yuan. 

Nach einem Abendessen in einem gigantischen Hotelkomplex sitzen Manfred, Ruven, Christian, der Inhaber der Reisebusse, seine Frau Isabell und ich in der sogenannten Bar (die sich neben dem Kinderspielplatz im Frühstücksraum befindet) und haben einen richtig lustigen Abend miteinander. Endlich! Etwas verdichtet sich. Etwas wächst wieder. Wir kommen an. 


 

Tag 5, 9. Juli 2018 

Heute Nacht Punkt 12 Uhr klingelt plötzlich das Telefon, ein Skype-Bild ploppt auf und Olli, Anna, Eszter und Luci singen ein süßes Geburtstagslied für das heutige Geburtstagskind: Manfred feiert seinen Ehrentag - im Land des Konfuzius. So fängt ein Tag richtig gut an! 

Als ich die Vorhänge gegen 7 Uhr zurückziehe erblicke ich ein Fischerboot auf schlammigem Grund mit einer kleinen hügeligen Insel im Hintergrund. Das Gelbe Meer! Niemand wusste gestern bei der Ankunft, dass wir direkt an dessen Ufer nächtigen würden. Umso mehr sind wir überrascht, auch wenn der Himmel nach wie vor mit schweren Wolken behangen ist. 

Der folgende Weg zum Geburts- und Sterbeort des ehrwürdigen Meister Kong verläuft trotz der knapp 300 km kurzweilig mit Vorträgen zur Bedeutung des Buddhismus inkl. seiner Symbolik, Tieren, Farben, etc. Wolfgang überrascht aber auch unsere Geburtstagskinder mit Kerzen, Küchlein und Geschenken: wir haben nämlich ZWEI Feiernde im Bus, denn auch Isabell, die Frau von Christian unserem Busfahrer, mit denen wir gestern Abend so schön zusammensaßen, feiert ihren Ehrentag. Die Stimmung lockert sich mehr und mehr. 

Auch der Himmel ist uns immer freundlicher gesonnen, sodass wir entspannt in Qufu ankommen können, dem Wirkungs- und Sterbeort von Meister Kong, genannt Konfuzius. Wir speisen zu allererst in einem einfachen Restaurant mit lokalen Spezialitäten. Einige aus unserer Truppe sind sichtlich düpiert von den Verhältnissen im Haus, die in unseren Gefilden keine einzige Hygienevorschrift auch nur im Entferntesten erfüllen würde. Ein paar alte Hasen wie wir aber gemahnen an mildernde Umstände, denn trotz aller irritierender Äußerlichkeiten genießen wir ein rundum bekömmliches Mahl voller Raffinessen und in bunter, schmackhafter Vielfalt. Anmerkung: auch am Abend gibt es keine weiteren nachträglichen Klagen oder Beschwerden irgendwelcher Art, die dieses köstliche Essen betreffen würden. 

Der nun folgende Besuch der riesigen und wunderschönen Tempelanlage des Konfuzius beeindruckt uns alle sehr – trotz des amtlich verordneten lokalen Reiseführers, der uns in miserablem Englisch versucht, die Wirkungsstätte eines der größten Denker der Menschheit näher zu bringen. Wir verzeihen ihm, denn der Ort ist wirklich beeindruckend. Genauso die Friedhoftsanlage der größten Familie aller Zeiten: der Familie Kong. Auf dieser friedvollen, zikadenbezirzten, riesigen Grünanlage ruhen 120 000 Familienangehörige des Konfuzius in einer sehr bewegenden Umgebung voller uralter chinesischer Lebensbäume (Sabina chinesis (L.), bis zu 600 Jahre alt) und steinerner Zeitzeugen (Grabmale, Tiere etc.). Auch das Grab von Konfuzius selbst wird ehrfürchtig von den zumeist heimischen Besuchern bewundert (siehe Foto). 

Kleine, schmucke Geschichten, die wir während des gesamten Tages noch mit vollem Genuss erlebten lasse ich heute Abend weg, da es spät geworden ist – bin aber immer noch erfüllt davon, ihr Lieben da draußen. Vielleicht noch ein kleiner Abschluss zu guter Letzt: in unserem wunderschönen Hotel Shangri-La kredenzt Franz zum Ende eines köstlichen Buffees voller exotischer, undefinierter Leckereien eine Geburtstagstorte für die Geburtstagskinder. Erneut feiern wir in fröhlicher Runde diesen besonderen Tag. Eigentlich wollten Manfred und ich noch hinunter zum Fluß spazieren, um die Pracht an Lotusblüten zu bewundern, die auf der Herfahrt so lockte – das schaffen wir nun nicht mehr. Lasst uns sehen, was der morgige Tag uns bringt. Wir begeben uns nun zur wohlverdienten Ruhe. 


 

Tag 6, 10. Juli 2018  

Der allmorgentliche Blick aus unseren luxuriösen Hotelfenstern gehört momentan zum wichtigsten Ritual auf dieser Reise. Sehnsüchtig warten wir alle auf den ersten Sonnenstrahl, aber der lässt sich noch nicht blicken.

Dennoch, trotz der grauen Himmelsfarbe fällt kein Regen und so dürfen wir in Tai’an unbeschwert bei angenehmer Temperatur eine höchst sehenswerte Tempelanlage besuchen, die einst den höchsten Gottheiten des Daoismus geweiht war. Sehr wenige heimische Besucher schlendern mit uns durch weitläufig verstreute Areale voller uralter Pflanzen. Fasziniert betrachten wir einen 1200 Jahre alten Gingko, aus dessen Fuß rundum kleine Sprößlinge neues Leben aus diesem Fossil gebären. Fast genauso alte Wandmalereien beeindrucken in ihrer Detailtreue und Feinheit in noch nicht vollständig renovierten Tempelhallen. Ich wünsche mir immer mal wieder, die Hand auszustrecken, um diese Zeichnungen zu berühren, als ob dadurch die Zeit überwunden werden könnte und Geschichte zum Jetzt wird. Gut, dass dann doch Gitterstäbe mich vor unüberlegter Handlung abhalten.

Draußen vor den Tempeln steht ein großer Wunschstein, der, wenn man ihn 3x links und 3x rechts herum mit geschlossenen Augen abtastend umkreist, dann einer geraden Linie folgt und den gegenüberliegenden alten Baum erwischt und streichelt, großes Glück verspricht. Wie glatt poliert wirken Stein und Baumstamm von den unzähligen Streicheleinheiten, die Menschenhand im Laufe von Jahrzehnten hier hinterlassen hat. Ein paar Mitreisende versuchen sich nun natürlich – ich werde berichten, ob das versprochene Glück bei den Betreffenden noch während der Reise eintritt.

Gegen Mittag widmen wir uns den lokalen Spezialitäten in einem heimischen Restaurant – einige stöhnen bereits ob der reichhaltigen Genüsse, denen wir täglich ausgesetzt sind. Aber auch hier in dieser schlichten Speisehalle sind alle wieder begeistert von der Vielfalt der unterschiedlichen Zutaten und Würzmethoden, auch wenn wir die gegarten Hähne mit ihren Kämmen lieber links liegen lassen. Übrigens, die Teller und Schüsseln werden trotz der Klagen immer leer geputzt... Und auch hier bemühen sich die Gäste und Mitarbeiter des Hauses, wie so häufig, lächelnd um ein Foto mit uns merkwürdigen Langnasen.

Nachdem das gestrige Geburtstagskind den Verdauungs-Reisschnaps im Bus eingeführt hat, muss das gewöhnungsbedürftige Getränk nun natürlich auch weiter ausgeschenkt werden, diesmal als Stärkung, denn nun erwartet uns unsere heutige Hauptaufgabe: die Ersteigung des heiligsten Berges Chinas, Tai Shan! Gut, ganz so heroisch geht es bei uns dann doch nicht zu, denn auch Profis benötigen für die 6666 Stufen gute 2 Stunden und die alten Kaiser ließen sich gar in Sänften gemütlich hinaufschaukeln, aber bei den fast 400 Stufen, die alleine zu unserer Seilbahnstation hinführen, kommen auch viele von den Unsrigen ins Schwitzen und Schnaufen, denn die Felsen hier sind doch sehr steil. Auch wenn wir uns mithilfe der modernen Gondeln nun in den Wolken befinden, steigen einige Freiwilligen noch weiter hinauf in ein seltsam anmutendes Gemenge aus traditionellen heiligen Tempelgebäuden und moderner Medienaufbereitung inkl. Verkommerzialisierung á la Disneyland. Saftige, wild wachsende Hanffelder verströmen intensiven süßlichen Duft, sodass eine fast unwirkliche Stimmung auf dieser nebeligen Höhe entsteht.

Der Besuch auf dem Berg in 1500m hat viele aus unserer Truppe trotz der Anstrengung sehr zufrieden werden lassen. Müde erreichen wir am Abend unser schönes Hotel in der Millionenstadt Tai’an und genießen an round tables gemeinsam mit der Gruppe Shanghai erneut Köstlichkeiten in einer nun nicht mehr aufzählbaren Vielfalt. Wie immer schaffen es ein paar Unermüdliche für einen letzten Umdrunk in die Bar. Xiéxie!


Tag 7

11. Juli 2018

Christian, unser heutiger Fahrer klärt uns zu Fahrtbeginn stolz über alle Maße, Fassungsvermögen, Kosten und sonstigen Details über den König der Busse, den unsrigen, auf. Eigentlich dürfen wir uns wie Kaiser in exquisiten Sänften fühlen. Hier ist immer für das gesamte Wohlbefinden gesorgt.

Anschließend nutzt Wolfgang die Gunst der Fahrt, um uns mit der zeitgeschichtlichen Entwicklung der Erde vertraut zu machen. Dies hilft uns, geologische Gegebenheiten, Felsformationen oder Pflanzenerscheinungen in unserer jeweiligen Umgebung einzuordnen. Erstaunlich für mich, wie interessant das sein kann.

 

Hatte ich gestern nicht von Glück gesprochen? Nach einer kurzweiligen Fahrt geschieht es: der Himmel reißt auf und die Sonne lacht uns an – dies, während wir uns gerade auf dem größten Brückensystem der Erde befinden (mehr als 40km Länge), also mitten auf dem Gelben Meer, kurz vor der 8 Millionenstadt Quingdao. Es ist immer wieder schön anzukommen. Also freuen wir uns auf unser Hotel, welches mit seinem drehbaren Restaurant schon von Weitem aus der Uferbebauung hervorleuchtet.

 

Ich weiß nicht, wie hier im Land die Sternevergabe geregelt ist, aber diesmal muss der zuständige Beamte einen Doppelsehfehler gehabt haben, denn statt der 5 Sterne würde ich höchsten 2,5 vergeben. Da sich - zum Beispiel - die schrammelige Badezimmertür von innen nicht mehr öffnen lässt, führt das zu manch spannender Situation. Aber ich will nicht lange klagen, der kleine Spaziergang am Meer, kurz vorm Schlafengehen wirkt cooling down.

 

Glück Nr. 2: beim Rangieren des bereits entladenen Busses platzt plötzlich ein Reifen, als Christian bei der engen Hoteleinfahrt über den Bordstein fahren muss. Weshalb ich von Glück spreche? Weil ich mir gar nicht auszudenken wage, was passiert wäre, wenn dieses Missgeschick irgendwo draußen in den menschenleeren Weiten der Mongolei oder auch nur mitten in der dicht befahrenen Stadt passiert wäre.

 

Ach ja, da fällt mir noch ein, dass es auch hier eine Bar im Hause gibt. Wie aus dem Nichts trudeln nach und nach die Schlummertrunksuchenden ein und gesellen sich zu uns. Mehr und mehr Ledersessel werden umgruppiert, bis auch das zu einem natürlichen Ende führt. Erstaunlich ist die Erfahrung, die wir schon so häufig gemacht haben, dass es wirklich beschwerlich ist, ein Getränk zu ordern. Es liegt nicht an den sprachlichen Verständigungsschwierigkeiten alleine (Englisch wird sehr selten gesprochen), oft ist die Überforderung an den Gesichtern abzulesen, wenn ein zusätzliches leeres Glas benötigt oder gar ein Cocktail gewünscht wird. Zumeist sind die Zutaten nicht vorhanden, sodass am Schluss das Bier die letzte Rettung bleibt. In diesen netten Bar-Runden finden die besten Gespräche statt, deshalb MÜSSEN wir sie natürlich immer wieder aufsuchen.

 


 

Tag 8

12. Juli 2018

 

Eine lokale Stadtführerin bemüht sich heute, uns das koloniale Erbe Qingdaos näherzubringen. Ich bin aber sehr froh, dass wir stattdessen wieder Oliver bei uns haben, der im täglichen Wechsel mit der Gruppe Shanghai seinen letzten Tag bei uns verbringt. Sein Wissen ist unerschöpflich und wir dürfen ihn löchern, was das Zeug hält. So lernen wir an der deutschen protestantischen Kirche, dass die dort auf dem Vorplatz drapierten Brautpaare, die sich aufwändig fotografieren lassen, noch längst nicht verheiratet sind. Der echte Trauungstermin liegt noch Monate oder Jahre in der Zukunft bzw. findet manchmal gar nicht mehr statt, da das Paar längst wieder getrennt ist. Alle Vorbereitungen jedoch müssen vor dem Fest mit viel Geld und Aufwand getätigt sein.

 

Als wir neben dem Strand Nr. 1 (es gibt für Strände nur Nummerierungen und Nr. 1 ist einer der bekanntesten Nordchinas) eine weitere Touristenattraktion besuchen (Landungssteg), wundern wir uns, dass wir tatsächlich unter einem dichten Gedränge von Abertausenden von Touristen die einzigen westlichen Besucher sind und selber zur Attraktion werden. Unzählige Fotowünsche werden erfüllt, offene und versteckte, denn von überall sind Handys auf uns gerichtet, die uns im Vorbeiflanieren mitfilmen.

 

Die ehemalige deutsche Kolonie hat Qingdao trotz ihrer kurzen zeitlichen Präsenz stark geprägt. Die teils prächtigen Kolonialbauten stehen teilweise unter Denkmalschutz während ständig neue Monumentalgebäude die rotbedachten Erinnerungen umzingeln. Am meisten aber wird der deutsche Einfluss für immer durch etwas sehr Wichtiges erhalten bleiben: der Gründung der Brauerei Tsingtao (1903), die weltweit als DIE chinesische Biermarke gilt. Schnell werden wir so richtig schön touristisch durch die Museumsanlage geschleust, genießen aber das naturtrübe Probebier, welches zwar kaum an das Freiburger Feierling herankommt, aber trotzdem mundet.

 

Mehr und mehr nähert sich der Abflug von Oliver, was uns richtig ärgert, denn er ist der bisher beste Experte, den wir auf unseren China-/ZEITreisen dabeihatten. Wir sind immer an seiner Seite, da er zu allen Themen historisch und aktuell beitragen kann, was wir wissen wollen – alles bestens aufbereitet. Auf unsere Bitte hin erklärt er sich spontan bereit, noch einen letzten kleinen Vortrag über die Seidenstraße zu halten. Mit gepacktem Koffer sitzt er dann mit uns in unserer Bar, wieder mit umdrapierten Ledersesseln, wieder mit sich stetig vergrößertem Radius, bis die Plätze alle voll sind. Nach 1,5 Stunden muss er sich dann verabschieden. Sehr, sehr, sehr schade. Auf das Wiedersehen in Hamburg am letzten Reisetag freuen wir uns schon jetzt.

Eigentlich wollte ich nicht mehr über unsere Mahlzeiten berichten, um niemanden zu langweilig. Aber die Überraschungen nehmen nicht ab und so schildere ich kurz, dass wir am Abend original koreanisch speisen. Wieder neue Geschmacksnuancen, wieder neue Zubereitungsarten, wieder neue Freude.
An diesem Abend fallen wir aber tatsächlich sofort in unsere Betten. Trotz der hohen Feuchtigkeitsdichte im Raum schlafe ich tief und traumlos.

 


Tag 9

13. Juli 2018

Endlich fahren wir Richtung Peking - nur noch letzte 650 km.

Nach einem guten Frühstück im drehenden Turm mit "Tigerhaut-Tee-Eiern" verbringen wir den Tag mit viel Schlaf, kleinen Zwischenvorträgen über das Dasein im sozialen Miteinander und dem maroden Gesundheitswesen Chinas anhand vieler lebensnaher Episoden aus dem Leben von Franz und steuern das Westin vor den Toren Pekings an. Ich wage es kaum auszusprechen, aber erneut ist das Abendessen ein Highlight. Das moderne Haus hat extra für uns ein Buffee angerichtet und bietet uns zu Ehren Diverses mit den Zusätzen "Deutsch" an, also Kartoffelsuppe, Kartoffelpuree etc., aber auch Sushi (für unsere Yoko?) und sonstige Extravaganzen. Wir danken und ziehen uns jetzt in die Bar zurück ;-)

 

Mit Hanne und Yoko aus Hamburg haben wir die richtigen gefunden, um einen fröhlichen Abend mit lieben Menschen zu verbringen. Zwei chinesische Musiker spielen im Hintergrund Chillout-Musik, bis wir dann doch erschöpft, aber zufrieden in unser riesiges Bett fallen.


Tag 10

14. Juli 2018

Gerne vertreten wir uns die Füße in der historischen Umgebung einer Millionenstadt kurz vor Peking, bevor wir endlich einen offiziellen Höhepunkt der Reise erreichen: die "Hauptstadt des Nordens", Beijing. 25 Millionen Menschen sollen hier leben; dennoch wirkt die Skyline im Verhältnis z.B. zu Shanghai bescheiden. Die Wolkenkratzer kratzen hier nicht wirklich an den Wolken, der höchste Turm der Stadt ist sichtbar noch im Bau, überragt alle anderen, hat aber nur etwas mehr als 500m nach oben geschafft. Wer möchte, vergleiche das gerne mit dem Shanghai Tower, den wir zu Beginn der Reise bezwangen. Dennoch herrscht hier eine andere Betriebsamkeit als gewohnt. Der Autoverkehr hat deutlich zugenommen, auch wenn dies durch die hohe Anzahl an Elektrofahrzeugen nicht so auffällt oder störend wirkt. Der Geräuschpegel hält sich durch die leisen Motoren sehr in Grenzen. Der Chinese an sich ist da bedeutend lustvoller im Umgang mit Lautäußerungen und Lautstärke. Gerne ruft er mit klarer Stimme über Menschenmengen hinweg, um sich bemerkbar zu machen. Chinesische Reiseleiter nutzen bevorzugt Mikrophone aller Art, um die benachbarte Reisegruppe zu übertönen. Verschnupfte(?)  Männer, Frauen und Kinder ziehen gewandt und mit aller lautmalender Energie die letzten Schleimreste aus Lunge und/oder Magen und entleeren sich dann genüßlich und möglichst laut auf dem Pflaster. Das Leben ist mitten unter uns ;-)

Und wir in ihm, denn mit all den Menschenmassen ziehen wir nun aus südlicher Richtung kommend in den Himmelstempel ein, genau wie einst die Kaiser, die sich hier als Abkömmlinge des Himmels mittels Opfergaben und Ritushandlungen regelmäßig wieder mit ihm verbanden oder für seine Himmelsgaben (wie zB die Ernte) beteten oder dankten. Wir schreiten die Marmorwege entlang und versuchen uns in die einstige Zeit hineinzufühlen. Die Zahl 9, die als Kaiserzahl gilt, begegnet uns hier überall. Faszinierend die kobaltblauen Ziegel, die die Himmelsfarbe versinnbildlichen und vor allem all die hervorragend restaurierten Wandbilder, die in der Ming-Zeit entstanden. Im Zentrum der riesigen Anlage kann sich jeder Besucher auf eine kreisrunde Marmorplatte stellen und von sich behaupten, nun im Zentrum der Welt zu stehen, das Zentrum der Welt zu sein - denn genau hier war der kaiserliche Ort.

Als ich dieser Tage vom Glück sprach, welches uns plötzlich so bereitwillig folgt, vergaß ich zu erwähnen, dass man mit seinen Glückswünschen manchmal vorsichtig umgehen sollte. Der Traum von der Sonne kann sich nämlich schnell in einen Fluch verwandeln. Bei bedecktem Himmel sind auch relativ hohe Außentemperaturen halbwegs erträglich. Verflüchtigen sich die Wölkchen aber mehr und mehr, können Menschen schnell an ihre körperlichen Grenzen stoßen. Ein Blick in die verschwitzten und erschöpften Gesichter (nicht nur meines) zeigt, das sich die Kaiserstadt Beijing besser nicht immer von ihrer allerbesten Seite zeigen sollte. 

Rüsten wir uns hinter den kühlen Glasfronten des Hotels (bei dem der Beamte diesmal mit klarem Blick seine 5 Sterne vergab) nun besser für den morgigen Tag, der uns ganz sicher noch mehr fordern wird - wir machen hier ja keinen Urlaub und sind auch nicht auf einem Ponyhof.


Tag 11

15. Juli 2018

Auf gehts, zum intensivsten und spannendsten Tag in Peking.

Bevor wir uns Schritt für Schritt den kaiserlichen Gefilden im Sommerpalast nähern, müssen wir diverse Hürden überwinden, wie alle anderen Menschen und Drachen seit Jahrhunderten auch: Hitze, Wassermangel (Flaschen vergessen), Dämonenschranken an den Toren, Fabelwesen mit Drachenköpfen, Löwenschwanz, Ochsenhufen, Rehgeweih und Schuppen überall am Körper. Direkt vor dem Kaiserthron, wo der Himmelssohn seine Minister einst zusammenrief, tummeln sich nun die "Untertanen" einer roten Flagge mit 5 Sternen und richten genau wie wir ihre Handys zu den überaus prachtvollen Palastgebäuden, um diesen Moment festzuhalten. Wir schreiten durch einen hölzernen Wandelgang, der über viele hundert Meter entlang des über und über mit Lotusblüten bedeckten Sees führt und mit kleinen kunstvollen Geschichten bemalt ist, um den Kaiser und seine Konkubinen beim Spaziergang bei Laune zu halten. Wir erreichen am Ende das berühmte marmorne Schiff, welches in der Lage ist, nie zu sinken - aber auch nie voranzukommen. Nichts im Leben ist vollkommen...

Auf dem Weg zur Verbotenen Stadt überqueren wir den Tianmen-Platz. Maos Mausoleum lassen wir links liegen, fühlen uns von Unmengen Kameras auf den umliegenden Regierungsgebäuden beobachtet. Man gewöhnt sich ganz schnell daran. Unter Maos riesigem Porträt hindurch bewegen wir uns auf die unterschiedlichen Hallen der Harmonie zu, natürlich wie immer vorher komplett kontrolliert; ab durch den Scanner. Franz klärt uns rechtzeitig darüber auf, dass wir mit unendlichen Menschenmassen zu rechnen hätten, die ebenfalls die wenig verbliebenen Denkmäler der Vergangenheit bewundern möchten. Es sind täglich höchstens 80.000 Besucher auf der gesamten Anlage zugelassen.

Ich wage es kaum zu sagen, aber auch heute haben wir das Glück gepachtet. Erwartungsvoll nähern wir uns den Sehenswürdigkeiten und werden völlig überrascht: die Plätze sind menschenleer. Des Rätsels Lösung: zufällig werden zu dieser Stunde Staatsbesucher erwartet (die Limousinen sind teilweise schon vorgefahren), sodass auch wir - sicherlich aufgrund unseres staatsmännischen Auftretens - frei das Gelände bestaunen und zum großen Teil betreten können.

Ich gehe nicht auf die historische Bedeutung der Plätze ein und auch nicht auf den Stellenwert, den all diese Kulturschätze heutzutage einnehmen. Es sind die kleinen Dinge, die mich jetzt erfreuen, die lebendig sind und das Leben zeigen; so freue ich mich über Yoko, die sich spontan zu den tanzenden Damen auf den Vorplatz gesellt und den Drachen taumeln lässt oder die Spaziergängerin, die sich von der Dame mitreißen lässt, die einen kleinen Kassettenrekorder angeschaltet hat und ihre ausgebildete Sopranstimme zu der Konserve über den Platz erschallen lässt.

Der gesamte Tag ist aufregend, anregend, anstrengend, aufwühlend, berührend, schweißtreibend, an Grenzen bringend - alles in allem wunderbar.

Was fehlt als wichtiges Highlight in Beijing? Die Ente! Diese traditionelle Köstlichkeit genießen wir ermattet in einem einfachen Lokal, wo wir die glänzenden Leiber mit der knusprigen Haut vor unseren Augen fachgerecht filettiert aufgetragen bekommen und darin eingewiesen werden, wie wir die Stückchen verkosten müssen (eingewickelt in zarte Fladen, die mit Sößchen und zartem Gemüse bestückt werden). Ich freue mich über den köstlichen Geschmack, mit dem ich so nicht gerechnet hätte.

Erstaunlich am heutigen runden Tisch ist, wie der kredenzte Schwarzhirseschnaps mit einem Schlag müde Geister erweckt, Zungen löst und zu nicht endendem Gelächter führt. Was seid ihr doch für tolle Typen, ihr alle an unserem Tisch!

Wirklich müde schleppen wir uns am Ende durch die Hotellobby, aber wie gesagt: das hier ist kein Ponyhof, nein, wir treffen uns nun gegen 21 Uhr NEBEN der Champagner-Bar zu einer Fragestunde mit einer ganz frisch ernannten jungen ZEIT-Korrespondentin, die künftig für verschiedene Ressorts in China Verantwortung trägt und ihre persönliche Geschichte ein wenig darstellt. Schön die Verbindung zu Freiburg, unserer Heimatstadt, in der die junge Frau als Kind von Chinesen aufgewachsen und in Wittnau zur Schule gegangen ist. Da sie erst seit 3 Wochen vor Ort ist, kann sie die aufkommenden Fragen noch nicht wirklich beantworten. Es kommt auch kein weiterer Diskussionsbedarf bei den wenigen verbliebenen Zuhörern auf, also wünschen wir uns nun einfach eine gute Nacht!

 


Tag 12

16. Juli 2018

Schlaftrunken heben wir am Morgen unsere Köpfe. In regelmäßigen Abständen klopft es gemütlich ans Fenster. Was? Regen? Macht nichts. Wir haben ja heute unseren freien Tag. Wie bitte? Freier Tag? In einer Anwandlung von kühner "Abenteuerlust" haben wir uns wie so viele andere aus den Gruppen Hamburg und Shanghai zu einem gebuchten Tagesausflug hinreißen lassen. Irgendwie fürchteten wir wohl, uns in der riesigen Metropole ansonsten nicht zurechtzufinden und Zeit bei der Suche nach etwaigen Zielen zu vergeuden. Das Hauptproblem: die unleserlichen Schriftzeichen ;-)

Also gut. Da auch hier der Reiseleiter Franz heißt und tatsächlich der unsrige ist, begeben wir uns gemeinsam genüßlich zurückgelehnt auf eine Rikschafahrt durch die traditionellen Altstadtbereiche Beijings, den sogenannten Hutongs. Als die Mongolen Beijing einst als Hauptstadt besiedelten, bauten sie rund um kleine Wasserbrunnen (übersetzt: Hutong) Innenhöfe, um die herum Häuser errichtet wurden. Der Name ist geblieben, die Anlagen auch, allerdings läßt ein erster Blick in die schmalen Gassen erahnen, dass das Leben hier nichts zu tun hat mit dem in den gleißenden Hochhäusern auf der anderer Straßenseite. Wir lassen uns von der Ruhe und den kleinen Überraschungen am Wegesrand gerne mitnehmen. Ein Fleischwolf an der Außenwand eines Hauses, ein abgesessener Sessel davor, kleine Gürkchen, die sich an einem Seil die Wand emporhangeln, Bienchen (!), die eine Blüte bestäuben, Fahrzeuge, bei denen man sich die Augen reibt, da sie trotz einiger für uns unerklärlicher Äußerlichkeiten fahren, verstaubte und komplett verdreckte Fensterscheiben, die Mode á la Paris anbieten. Gegensätze, die uns faszinieren.

Nun lassen wir uns wieder von der Moderene einfangen. Zügig geht es zum Kurzbesuch auf das Olympiagelände von 2008.

Auch hier wiederholt sich das chinesische Prinzip, den Himmel als Kreis und die Erde als Viereck darzustellen. So sind das architektonisch beeindruckende Vogelnest (zentrale Sportstätte) und die komplett blau eingepackte Schwimmhalle direkte Nachbarn auf dem weitläufigen Gelände mitten in der Stadt.

 

Da die Küche im Norden Chinas etwas eintöniger wird, macht es uns nichts aus, nach dem Mittagessen direkt ein Lama-Kloster zu besichtigen. Am Eingang appelliert ein mehrsprachiges Schild an Frieden, gehalten in Mandschurisch, Chinesisch, Tibetisch und Mongolisch. So unterschiedlich entwickeln sich Schriftzeichen, ein wunderbarer optischer Vergleich. Unser Ziel ist es, die Haupthalle am Ende der Klosteranlage zu betreten, denn dort steht ein imposanter Weltrekord-Buddha. Es ist nicht seine Höhe von 18m, die uns gleich mit offenem Mund erstaunen lässt, es ist seine Konsistenz. Komplett aus Sandelholz gearbeitet, musste dieses Geschenk über 3 Jahre aus Tibet hierher transportiert werden, um mit seiner goldfarbenen Strahlkraft die Gläubigen zu entzücken. Aber tatsächlich nicht nur diese.

 

Innerhalb von Sekunden verdunkelt sich beim Verlassen der Anlage der Himmel und genauso schnell ergießen sich kübelweise Wassermassen auf unsere Häupter. Aber als vom Glück Verfolgte ist – zack, zack, wie unser Guide uns immer wieder einbläut – der Bus wie von Zauberhand schon vorgefahren und bringt uns wohlbehalten nach Hause.

 

Da einige aus den Gruppen einen Pekingoper-Besuch gebucht haben, gehen wir zum Abendessen getrennter Wege. Wer steht vor der Hotelhalle, als wir uns versammeln? Oliver Harms, unser vermisster ZEIT-Experte hat sich spontan zu uns gesellt, um mit uns zu speisen. Er wusste von unserem Wunsch, ihn erneut zu treffen und hat sich auf den Weg gemacht. Chapeau!

 

Einige behauten, dass wir heute Abend im fußläufig zu erreichenden Restaurant die besten Mahlzeiten der gesamten bisherigen Reise zu uns genommen haben. Das stimmt, liegt vielleicht aber auch am Pflaumenwein (42°), der die Herzen einiger Teilnehmer erwärmt.

 

Beschwingt gehen wir zurück, stapfen unerschrocken durch knöchelhohe Wasserlachen, da eben erneut tonnenweise Regen über uns verteilt wurde. Innerhalb weniger Minuten ist auch dieser Spuk vorbei.

 

Und erneut erwartet uns ein Höhepunkt: Frank Sieren, ein weiterer hochkarätiger China-Experte, der ebenso wie Oliver in Beijing lebt, steht in Shorts in der Lobby und umarmt herzlich Freunde und Bekannte von vergangenen ZEIT-Reisen. Große ZEIT-Familie, denke ich mir. Erneut sind wir zu einem Abendvortrag eingeladen, bei dem beide Experten zu Wort kommen werden. Frank Sieren entschuldigt seine extravagante Abendrobe damit, dass er mit dem Fahrrad vorfahren musste – bei Regenschauern der Art, wie wir sie selber gerade miterlebt haben, bricht der Autoverkehr in der Metropole gewöhnlich unverzüglich zusammen und so gibt es kein Fortkommen mehr. Leichter schlängelt man sich da mit dem Zweirad durch die Staus.

 

Aber nun lauschen wir einem Feuerwerk an neuen aktuellen Informationen zu den rasanten Entwicklungen in unserem Gastgeberland. Wenn die Einschätzungen Sierens stimmen, wird sich die gesamte Welt von China ausgehend schneller verändern, als alle Spekulationen bisher vermuten ließen. Wir haben schließlich heiße Ohren, als wir uns zu später Stunde zurückziehen. Ausnahmsweise überlassen wir die Bar diesmal den anderen und gehen erfüllt von den Eindrücken zu Bett.


Tag 13

17. Juli 2018

Wir wolln die Mauer sehn, wir wolln die Mauer sehn!

Klar, das gehört zu jedem ordentlichen Chinareiseprogramm dazu. Jeder muss einmal auf ihr gestanden haben, das wusste bereits Mao – erst dann ist man ein Mann, so verkündete er. Ah ja...

 

Auf dem Weg nach Datong werden wir an Bord unseres großen Autos von Wolfgang und Franz fleissig kulturgeschichtlich hinsichtlich der chinesischen Mauer aufgeklärt. Aus Einzelgesprächen höre ich heraus, dass einige Teilnehmer voller hoher Erwartung nach diesen mythenumwobenen Gemäuern ausspähen; eine Begehung gehört dazu, wenn man in der Welt herumgekommen sein will.

 

Der Blick aus dem Bus ist ernüchternd. Noch erkennen wir die Umrisse wunderschöner kegelförmiger grün bewaldeter Bergformationen, dann aber verliert er sich, der suchende Blick, mehr und mehr in diesigem Nebel. Aufkommender Regen vernebelt dann auch Stück für Stück die Laune. Bei 23° C nutzen irgendwann Schirme und bunte Regencapes nichts mehr. Ein Gruppenfoto mit ausgerolltem ZEIT-Banner gelingt auf den glitschigen ausgetretenen Steinplatten der berühmten Mauer (die man ja in Wirklichkeit als chinesische MauerN bezeichnen müsste) nur mühsam und es schaffen auch nicht alle Teilnehmer komplett dabei zu sein. Also verziehen wir uns in ein rettendes kleines Cafe, von wo wir einfach in den Nebel starren, Touristen beobachten, scherzen und bunte Schirme oder schöne Gesichter fotografieren können. Der Verlauf der Mauer bleibt uns nur schemenhaft in Erinnerung. Ich bin froh, bei der letztjährigen Reise eine andere Erfahrung gemacht zu haben.

 

Wie es so kommen muss – wir verlieren trotz vielfacher Vereinbarungen ein Gruppenmitglied. Bei diesem Wetter macht es keinen Spaß, Zeit mit warten und suchen zu verlieren, aber ich denke immer daran, dass es irgendwann ja auch mich treffen könnte und die anderen aus irgendwelchen Gründen auf mich warten müssten. Also bleibe ich geduldig.

Nach ein paar Stunden Fahrt Richtung Datong ändert sich deutlich die Landschaft. Nach fruchtbaren Ebenen voller kleiner Parzellen mit reichlich Gemüse- und Früchteanbau wird es langsam karger, aber auch spannender, vor allem aber wettermäßig heller und viel freundlicher.

Als sich unsere beiden Busse Richtung Hotel zubewegen, erkennen wir schon von weitem, das vor unserer etwas heruntergekommenen Unterkunft ein Aufgebot an bunt gekleideten Menschen aufgestellt ist. Beim Ausstieg ertönen kraftvolle Perkussionsklänge und ein von einer energischen Dame geleitetes Frauenensemble spielt und tanzt uns ein Willkommen, dass es eine wahre Freude ist. Während wir zum Mittanzen aufgefordert sind, versammeln sich mehr und mehr Einheimische, um dem Spektakel beizuwohnen. Eine schöne Geste! Während des Essens zeigen vier junge Musikerinnen auf alten Instrumenten ihr Können. Dass sie parallel gerne Musik aus der Konserve zur Begleitung ihrer eigenen Musik verwenden ist mir nun schon öfter auch in Parks und öffentlichen Anlagen begegnet. Ihr eigenes Können ist jedoch meist auf hohem Niveau angesiedelt.

Freunde der Nacht, für uns ist nun das Ende des Tages angesagt.


Tag 14

18. Juli 2018

Unser heutiger Datonger Guide ist ein echter Lokalpatriot. Stolz erzählt er uns von der guten Luft in seiner Stadt, während wir an rauchenden Schloten und dampfenden Kohlekraftwerken Richtung nächstes Weltkulturerbe brausen: einem hängenden Kloster. Tatsächlich scheint sich die Stadt im aufstrebenden Modus zu befinden; die Geisterstädte, die auch hier rundum entstehen, sind sichtlich von Bauarbeitern bevölkert, Brückenpfeiler für Hochgeschwindigkeitszüge wachsen meilenweit sichtbar aus der Landschaft heraus, aus kleinen Maisparzellen, die zuvor vielleicht eine oder zwei Familien ernährten, werden hier große, so wie wir sie aus dem Süden Deutschlands kennen.

 

Mit starkem Sonnenschutz ausgerüstet nähern wir uns, den Kopf permanent in den Nacken gelegt, dem wie Schwalbennester in Sandstein eingebetteten Hängenden Kloster Xuankong Si, welches wirkt als hätte es sich in den Steilhang eines Heiligen Berges hineingeschmiegt. 40 winzige Hallen sind entlang der Wand auf Holzträgern ruhend in teils natürliche Felseinbuchtungen gebaut. Sicherlich auch dem schönen Wetter geschuldet sind hier heute schon viele Touristen eingetroffen, die sich alle geduldig anstellen, um die Stufen nach oben zu erklimmen. Es darf immer nur eine bestimmte Anzahl an Menschen durchgelassen werden, da die Stufen stark abgenutzt sind und die Wege sehr eng und steil werden. Absicherungen nach unten gibt es nicht; viele haben  daher große Sorgen, wieder heile unten anzukommen. Es schaffen aber alle.

Nächstes Tagesziel sind die Yungang-Grotten. Sie gehören zu den wichtigsten Zeugnissen der buddhistischen Steinmetzkunst und führen uns 1500 Jahre zurück in die Vergangenheit. Vorbei an den fast erleuchteten Elefanten mit ihren 6 Stoßzähnen stellen wir uns nun selber unter den goldenen Baum der Erleuchtung. Mal sehen, ob das wirkt... Eine komplett nachgebaute prachtvolle Klosteranlage muss durchschritten werden, bevor wir das letzte Weltkulturerbe des heutigen Tages anschauen dürfen, die Buddha-Grotten. 51.000 große (17m) und kleine (2,5cm) Buddhas warten auf uns. Da wir jedoch schon so richtig spät dran sind, konzentrieren wir uns auf die Details von einigen wenigen schönen Exemplaren.

Manfred und ich haben im letzten Jahr bereits 2 der 3 existierenden Grotten besichtigen können, aber diese Anlage hier beeindruckt mich am meisten. Höhlenhallen wie Kathedralenschiffe. Die Grotten sind teilweise bis unter die Decke mit Buddhas, Symbolik oder Szenerien aus dem Alltag bestückt. Die Farbgebung mithilfe von Muschelkalk, Lapislazuli, Mineralien oder Kohle ist ebenfalls zu einem guten Teil im Original erhalten geblieben, also über 1500 Jahre alt, sofern das Sandgestein selbst nicht der Verwitterung anheim gefallen ist. Datong hat bei dieser Anlage alles gegeben. Ein entspanntes Dahinwandeln bei langsam versinkender Sonne, leeren Plätzen und angenehmen Temperaturen versüßen uns den erlebnisreichen Tag.

Abendessen ist langweilig; heute verzichten wir einfach mal darauf.


Tag 15

19. Juli 2018

 

Während der langen Fahrt gen mongolische Grenze (460km) müssen wir einmal kurz abfahren, da ein Stau auf der Autobahn angekündigt ist. Also geht es über Land, ein Wunsch, der schon öfter aufgekommen war. Aber auch hier ist aufgrund von Straßenreparaturen ein kleiner Stau entstanden, wo man genauer hinschauen und beobachten kann. Das ist also das aufstrebende China? Stark verwahrloste Hinterhöfe voller Schrott und/oder Müll, Frauen, die vor den Haustüren ihre Wäsche in Bottichen per Hand rubbeln und waschen, Männer, die ihre Notdurft offen in der Landschaft ausüben (immer mit dem Handy in der Hand), Fahrzeuge aller Art, die aussehen, als wären sie frei Schnauze auf einem Schrottplatz zusammengebaut. Gut, es gibt wachsende prosperierende Städte, aber auch dort entlarvt der Blick aus den Hotelzimmern in die Hinterhöfe einen Zustand, der mehr Fragen aufwirft, als er beantwortet. Ich würde auch nicht sagen, dass diese Beobachtungen mit der Tatsache zu tun hätten, dass wir uns im Grenzgebiet zur Mongolei befinden. Sowohl im Westen als auch in den wohlhabenden östlichen Gebieten herrschen ähnliche Zustände. Meine Zweifel bezüglich eines aufstrebenden Chinas bleiben auch in diesem Jahr bestehen; ein Großteil der Bevölkerung spürt dies meiner Einschätzung nach noch nicht, noch lange nicht.

 

Die Gegend, durch die wir fahren gibt Wolfgang die glänzende Gelegenheit, uns erneut mit den geologischen Gegebenheiten vertraut zu machen, aber auch, ausführlich über das Vorkommen von Saurier-Funden zu berichten. Was ich lerne: achte darauf, wenn dir irgendjemand ein versteinertes „Original“-Saurierei anbieten sollte, es ist im Regelfall ein gut gemachtes Fake-Ei. Finde selber eins. Die Chancen stehen wohl nicht schlecht.

 

Wir tuckern recht gemütlich durch die Gobi, als sich urplötzlich der Himmel verdunkelt. Die Geschwindigkeit ist irritierend. Als aber dann ein Wolkenbruch niedergeht und der Regen laut gegen alle Scheiben trommelt, wir draußen nichts mehr erkennen können, Blitze über den Himmel zucken und der Donner unverzüglich danach laut grollt, wird uns mulmig zumute. Kaum lichtet sich der Blick, befinden wir uns nicht mehr in der Wüste, sondern mitten in einem reinen Wattenmeer; alles ist überschwemmt, ein Schäfer kauert sich eng mit seiner Schafherde zusammen und harrt der Dinge, die da wohl noch folgen. Ich hoffe, im Hotel an der Grenze gibt es heute Abend den berühmt-berüchtigten Gobi-Fisch als Spezialität.

 

Die gut ausgebaute vierspurige Strecke ist menschenleer. Erste Jurten säumen den Wegesrand. Das Wetter hat sich wieder beruhigt.

 

Was uns aber nun erwartet, glaubt uns wahrscheinlich niemand – nachdem wir uns Erenhot, unserem grenznahen Zielort nähern, zieht sich erneut ein merkwürdiges Wetter zusammen.

Nur noch schemenhaft erkennen wir die links und rechts der Straße vorüberhuschenden Sauriersilhouetten. Ist ja schon merkwürdig genug. Kaum aber haben wir die Stadt erreicht, gibt es erneut einen Wolkenbruch. Ja, das kennen wir bereits. Peking hat es vorgemacht. Wir wissen, dass es keine Kanalisation gibt und wir wissen auch, dass Wasser auf diese Weise nicht vernünftig ablaufen kann. Hier, mitten in der Wüste hat mit einer solchen Situation auch wahrscheinlich keiner gerechnet, aber erneut platzen in Sekunden unfassbare Wassermassen auf uns ein. Blitzschnell sind die Straßen überschwemmt. Das Wasser steigt und steigt. Das geht in Sekundenschnelle. Christian, der sonst ja keine Gnade kennt, stoppt dann doch irgendwann, da wir verfolgen können, wie die Wassermassen in die Haustüren strömen, Mopeds mitgerissen werden und Autos einfach absaufen. Das geht unfassbar schnell. Ein Park wird vor unseren Augen in Windeseile von kleinen Wasserfällen, die die Treppen hinabrauschen, überschwemmt. Wohlgemerkt: wir befinden uns in der Wüste Gobi, mit einer normalen durchschnittlichen jährlichen Niederschlagsmenge von ca. 1000mm!

Wir ziehen unsere Schuhe aus und rennen ins Hotel, welches gottseidank etwas erhaben liegt. Aber auch hier helfen die aufgestellten Schüsseln und Bottiche nichts mehr. In Strömen wird der Boden im Restaurant vom herabtropfenden Regen überschwemmt. Gut, wir haben eine Pionierreise gebucht. Wir haben sie bekommen.

 

Was wir uns nicht nehmen lassen: unsere fröhlichen Abendrunden! Gruppe Shanghai mischt sich schnell unter unseren round table. Guter Anfang!


Tag 16

20. Juli 2018

 

Unser heutiges Hotel zu verlassen ist allen ein großes Vergnügen. War kein schönes. Hier parkten über Nacht auch Wohnmobile, die gerade losfahren wollen. Plötzliches Chaos: ein Mobil ist mit dem Hinterrad komplett im Asphalt versunken. Der gestrige Regen hat wohl den stabilisierenden Untergrund aufgeweicht und weggeschwemmt. Hätten wir dort geparkt, wäre das Desaster womöglich unseren Bussen passiert…

Wir können nun unbehelligt und unverzüglich die wenigen Kilometer zur Grenze zurücklegen. Überraschend unkompliziert wechseln wir die Länder: gute 1,5 Stunden dauert das gesamte Procedere. Unser neuer Guide heißt Zula (Tulpe). Sie empfängt uns sehr herzlich und beginnt sofort, ihr Land vorzustellen.

 

Aber kurz nach der Grenze schon muss sie unterbrechen. Aufgrund der Regenfälle, die wir ja gestern miterlebt haben, ist unsere Hauptstrecke durch die Wasserschäden nicht befahrbar. Es gibt tatsächlich nur eine einzige Lösung: sich quer durch die Wüste vorzutasten, um diese Unpässlichkeit zu umfahren. Nachdem Christian mit unseren Begleitfahrzeugen die Wüstenstrecke prüfend abgefahren ist, mutieren wir zu Wüstenschiffen. Die dunklen Neoplane wanken durch den Sand, nachdem sich die Bordpassagiere alle in den rückwärtigen Teil drängen, um das Hauptgewicht auf die Hinterachsen zu verlagern. Wir alle wissen, wenn wir hier stecken bleiben, bedeutet das erstmal das große Aus für alle. Aber ganz souverän schippert uns Christian auf den ersehnten Asphalt und erst jetzt darf uns der 2. Bus folgen.

 

Auf dieses kleine Abenteuer hin brauchen wir eine kleine Kaffeepause und dann lehnen wir uns zurück, lassen die Blicke in die ergrünte Wüste schweifen und lauschen den Geschichten von Mönchsgeiern, Kaiseradlern, der weiblichen und männlichen Kamelwolle, Pfeifhasen oder dem einzigartigen Gobi-Bären. Von diesem wildlebenden Bären existieren weltweit nur noch 26 Stück, vorwiegend männliche Exemplare. Das Weibchen bekommt alle 2 Jahre zumeist Zwillinge. Die Tiere sind keine Fleischfresser, sondern leben von Rhabarber, Wurzeln und kleinen Insekten und sind leider vom Aussterben stark bedroht. Ich hoffe, viele hiesige Pflanzen zu sehen, wie Tamariske, Edelweiß, Steppenbeifuß, Alraune und den Saxaulbaum. Aber jetzt will ich mich gerne weiter in der Ferne verlieren, in der endlosen Steppe, in der offenen und freien Landschaft, Pferde und Kamele beobachten. Es ist so: Hier berührt der Himmel die Erde!

 

Nach dem Passieren des ersten kleinen Städtchens Sainshand mit seinen paar Tausend Einwohnern wollen wir nach links abbiegen. Dort soll unser Ger-Camp liegen. Nach kurzer Inspektion wird dieses Vorhaben gecanceled, die Löcher zu tief, der Untergrund zu schlammig, die Gefahr stecken zu bleiben zu groß. Also suchen wir uns erneut eine kilometerlange Route mitten durch die Wüste. Das Abenteuer beginnt. Schaffen wir den Hügel, ohne dass die Achse bricht? Abwartend verfolgen wir, wie der Bus vor uns rangiert und sich zentimeterweise vorarbeitet. Am Schluss schaffen es beide. Ich glaube, dass das noch keiner gesehen hat: 2 riesige dunkle Busse, die sich ihren Weg zum Ziel durch die weite Wüste bahnen.

 

Dann aber ein zauberhafter Anblick: unser Camp leuchtet weiß aus dem Wüstengrün hervor. Wie sagen die Mongolen: Wenn ein Gast den Regen mitbringt, ist er ein höchst gern gesehener und sehr willkommener Gast. Machen wir doch alles gerne! Ein paar Tropfen haben wir dabei.

Entzückt erkennen wir, dass das Camp nur von uns bewohnt wird. Wir wissen, dass dies ein touristisches Jurtendorf ist, aber wir riechen trotzdem die durchdringenden Gerüche der Tierfelle der Ger-Außenhaut, liegen trotzdem zufrieden auf den hölzernen Bettuntergründen, wandern trotzdem zu den gemeinsamem "Sanitäranlagen" ohne Duschen usw., lassen trotzdem kleine Tierchen über den Holzboden krabbeln. Die meisten machen das - bis auf wenige, die dann etwas luxuriösere Jurten erwischen. Diesmal ist uns das Glück der Zuteilung von besonderen Unterkünften in den Schoß gefallen, sogar mit eigenem Bad, teilen aber gerne mit den anderen, denn am Abend schleichen nach und nach die üblichen, aber auch neue Schlummertrunksuchende in unser Gemach und feiern mit uns diesen glücklichen Tag mit Rasputin, Dschingis Khan, Bambusschnaps, Cola-Bier!  


Tag 17

21. Juli 2018

 

Mongolei , meine Musik, meine Lieder,

aus der Tiefe der endlosen Steppe,

der weiten nackten Wüste,

wo der Himmel die Berge berührt,

die Wolken am Schönsten,

die Winde am Zornigsten,

der Duft der Erde würzig,

die Sterne das Paradies zeigen,

und die Mythen lebendig sind.

 

                                                                              - Enkhjargal Dandarvaanchig (Epi) -

 

 

 

Der Tag beginnt heute nahtlos mit dem Ende des letzten.

Nachdem sich die lustigste Runde aus den Teams Hamburg/Shanghai aus unserer Jurte langsam zurückzieht und absolute Ruhe im Camp einkehrt, wandern Manfred und ich ein Stück hinaus in die Weite, um der Empfehlung von Zula zu folgen, uns die Milchstraße anzuschauen. Noch leuchtet der Mond, ist jedoch im Untergang begriffen, sodass wir doch tief in die Unendlichkeit des Weltenalls hineinschauen können – dies bei sanftem Wind und absoluter Stille. Meine Ohren küssen mich; diese Stille, die es bei uns zuhause gar nicht gibt, ist eine einzige Wohltat.

 

Als sich die Sonne am Morgen am Horizont erhebt, bin ich schon wieder draußen. Die Pferdeherden lassen mich nicht an sich heran. Sie halten einen konstanten Abstand zu meinen Annäherungsversuchen, indem sie sich ruhig grasend Schritt für Schritt weiterbewegen. Bei jedem meiner Schritte streife ich die Lauchbüschel, die einen wunderbaren, appetitlichen Duft über der Wüste verbreiten. Ich hätte nie geahnt, dass über hunderte von Kilometern Schnittlauch die Gobi bedeckt.

 

Hier, an diesem Ort kann ich die oben formulierten sehnsuchtsvollen, liebevollen Worte von Epi, einem der allerbesten Musiker der Mongolei nachempfinden, bei dem ich einst die Pferdekopfgeige gespielt und den Obertongesang gelernt habe.

 

Das Frühstück mit dem selbst hergestellten Joghurt und den köstlichen Marmeladen mundet in dieser reinen Luft auf gut 1000 Metern Höhe vorzüglich. Wir verlassen das Ger-Camp bei Sainshand ausgesprochen ungern.

 

Während der nun folgenden schier endlosen Fahrt Richtung Hauptstadt Ulaanbataar erfahren wir alles über das Alltagsleben der Mongolen, den arbeitsreichen Tag der Frauen, Herstellung von Rahmbutter, Quark, Versorgung der Tiere, Hochzeiten, Feste usw.

Hunderte von Kilometern zieht die Wüste an uns vorbei. Weit und breit nichts als grüne flache Ebene oder ausgetrocknete Gestrüppgürtel. Dann mittendrin plötzlich ein Fußgängerübergang mit Zebrastreifen. Ja, warum aber  auch nicht? Für ein Foto ist es mindestens nütze.

Immer wieder sehen wir aufgeschichtete Steinhaufen, die schamanischen Ritualen dienen. Immer wieder auch verendete Tiere, die von Geiern und anderen dankbaren Tieren und Tierchen zerfleddert werden oder aber austrocknen. Leider kann ich die Geier mit meiner Kamera nicht erwischen, husch, schon sind wir daran vorbeigeflitzt.

Mehr und mehr nähern wir uns der Hauptstadt der Mongolei. Fast die Hälfte aller ca. 3 Millionen Mongolen lebt hier. Sicherlich ist es verlockend, den Weg in den vermeintlichen Wohlstand anzutreten, weswegen viele ihre Jurten in einem breiten Gürtel um den modernen Kern der Stadt mit den üblichen Hochhäusern aufstellen. Mittlerweile ist jedoch auch wieder ein Trend zurück zu beobachten. Offensichtlich ist so manchem Nomaden bewusst geworden, welche Vorzüge ein freies Leben mit der traditionellen Viehzucht da draußen auch haben kann.

In unserem Hotel Kempinski werden wir sehr europäisch bewirtet, was viele Fleischesser bedauern. Mongolen verspeisen pro TAG 2,2 kg Fleisch. Es sind hier Babys, Alte und Kranke mit eingerechnet.

Dann erhebt sich plötzlich ein Herr an einem der Tische, greift zum Mikro und stellt sich als Christian Schmidt-Häuer vor! Unser neuer ZEIT_Experte ist eingetroffen, bekannt als Autor, Korrespondent der ARD und Reporter der ZEIT. Dann erhebt sich an einem anderen Tisch Prof. Dr. Maria Huber und stellt sich ebenfalls als ZEIT-Expertin für die nächsten Tage vor. Das wird ja nun richtig spannend werden!


Tag 18

22. Juli 2018

Mit vielen "Ahhhs" und "Ohhhs" starten wir in den Tag: die Luft ist klar und rein, die Sonne strahlt, die Temperaturen ideal für die Erkundung Ulaanbaatars.

Der zentrale Hauptplatz Sukhbaatar mit Regierungsgebäuden, Oper, Theater und neuen modernen (höchsten 25 Jahre alten) Hochhäusern ist fast menschenleer. Nur eine bunt gekleidete Menschenmenge zieht uns an. Eine Schulklasse trifft sich nach 40 Jahren wieder. Sogar der Lehrer (orangefarbener Kittel, siehe oben) ist dabei. Alle fallen sich herzlich in die Arme und tauschen Schnupftabakdosen aus (typisches Willkommen heißen). Nur wenn Fotos gemacht werden, muss man möglichst ernst in die Linse blicken. Auch eine Hochzeitgesellschaft mit nicht wirklich glücklich wirkendem Brautpaar in Weiß gruppiert sich mit den Gästen vor dem prächtigen Denkmal des Dschinghis Khan.

Wir genießen schlendernd die beschauliche Atmosphäre des Platzes, bevor wir in ein nahe gelegenes Lama-Kloster der gelbmützigen Buddhisten fahren: Gandantegchenfing Kloster. Es ist das wichtigste für die Buddhisten im Land und gut besucht. Auch hier kann ich ein Hochzeitspärchen fotografieren, aber eines, welches sehr glücklich wirkt und offensichtlich keine Muss- oder arrangierte Hochzeit eingeht.

Nun geht es in die neu erbauten modernen Bezirke der Stadt bzw. über sie hinaus. Ein Denkmal, welches als Dank an die Russen erbaut wurde, ist das Ziel. Wir bezwingen den Hügel und haben einen atemberaubenden Ausblick weit hinaus bis in die jurtenübersäten Randgebiete. 60% der Stadtbewohner leben übrigens noch in ihren Gers. Manchmal allerdings befinden sich diese auf den Dächern der Hochhäuser - eine witzige Alternative, wenn man als Nomade noch nicht so richtig weiß, was man will. Es ist übrigens eine wunderbare Orientierungshilfe zu wissen, dass die Öffnung einer Jurte immer gen Süden ausgerichtet ist. So haben wir unsere Fahrtrichtung immer gut im Griff.

Auf dem Aussichtshügel über den Dächern der Stadt und mit den mongolischen Hügeln im Hintergrund darf man für umgerechnet 2 Euro einen Adler auf dem Arm halten. Endlich geht hier ein Traum von Manfred in Erfüllung. Offensichtlich auch von Christian Schmidt-Häuer...

Der Abend endet im Theater von Ulaanbaatar, welches uns traditionelle Tänze, Gesänge und Musik auf höchstem Niveau bietet. Es kribbelt im Bauch und entführt in die Weite der mongolischen Steppe. Auch die anderen aus den Gruppen, die so etwas noch nie gehört oder gesehen hatten, sind bezaubert von den Ober- und Untertönen, den Pferdekopfgeigen-Orchester und den wunderschönen Tänzern und Tänzerinnen.


 

Tag 19

23. Juli 2018

 

Auf dem Weg zu unserem neuen Camp steuern wir einen einheimischen Supermarkt an. Auf den Wunsch einzelner hin benötigen wir die entsprechende Ausstattung für unsere abendlichen Vergnügungen. Feuerwasser in Jurten zu verköstigen hat sich ja dieser Tage schon ordentlich bewährt.

Wir finden hier bestens ausgestattete Abteilungen mit Obst, Gemüse, Fleischwaren, aber vor allem Süßigkeiten und geistige Getränke. Jetzt wissen wir, woher all die leeren Flaschen stammen, die wir draußen massenweise in der Steppe verteilt auffinden, manchmal sogar geopfert an den Owoos (kultische Steinhaufen), die wir jeweils 3x umkreisen und kleine Stein-Opfer aufwerfen, um damit die Reisegottheiten wohlgesonnen zu stimmen. Wir finden aber auch viele Krücken von Gesundeten, die ob ihrer Heilung hier Dank sagen, Geldscheine, Schüsselchen oder sonstige kleine Gaben.

Nicht weit entfernt von Ulaanbaatar beginnt der Nationalpark Gorkhi-Terelj.  Wir steuern direkt auf einen der Wollsackfelsen zu, der im Laufe der Gezeiten eindeutig die Form einer Schildkröte angenommen hat und touristisch mehr und mehr frequentiert wird. Eine große Hotelanlage wächst in Sichtweite und steht schon stumm anklagend als Rohbau inmitten der großartigen Felsformationen. Wir befinden uns im Nationalpark – und schon beginnt die Zerstörung. Bevor es weitergeht, probiere ich eine Murmeltier-Fellmütze auf; leicht und weich und warm sitzt sie auf dem Kopf, wird bei den heutigen Sommertemperaturen aber schnell wieder auf die Seite gelegt.

Ein paar Kilometer weiter bleibt unser Bus stehen. Noch ist das gepriesene Camp nicht in Sichtweite. Dafür das Ger einer heimischen Nomadenfamilie, die uns bereits erwartet und mit Leckereien begrüßt. An der Wand hängt ein großer Sack aus Rindsleder, in den Stutenmilch gefüllt ist. Alle 2 Stunden wird umgerührt, bis die Endprodukte entstehen, wie z.B. vergorene Stutenmilch (Kumys). Über dem Vorratsregal hängen auf einer gedrehten Wollkordel aufgezogen kleine Fladen aus getrocknetem Quark und warten bis zu einem Jahr auf den Verzehr. Die ornamentreichen Schnitzereien der Truhen und die großzügige Ausstattung der Jurte erinnern mich dann doch eher an einen Showroom, deshalb werfe ich noch schnell einen Blick in das Nachbar-Ger. Hier wirkt es belebt und natürlich und auch sehr wohnlich. Draußen spazieren Hähne und Kühe, junge Männer reparieren sehr entspannt ein Motorrad auf der Wiese und ein Hirtenhund kämpft mit einem Kälbchen um einen Topf Fleischsuppenreste. Ein kleiner Junge spielt draußen auf der Weide mit einem Kälbchen, indem er ihm den Schwanz festhält, das davonrasende Tier aber auch nicht mehr loslässt und so kreuz und quer über die Wiese tollt. Nach einer Weile kann das kleine Jungtier nicht mehr und unser etwa achtjährige Junge legt beruhigend seinen Oberkörper auf dessen Rücken, schmiegt seine Hände um den Kalbsleib und bleibt so liebevoll umschlungen stehen, bis sich beide von dem wilden Galopp beruhigt haben und sich lösen können. 

Nach einer kleinen Wanderung erreichen wir am Ende eines Tales unser kleines Ger-Paradies. Worte fehlen uns allen bei dessen Anblick. Endlich Frieden nach all dem Geruckel des Busses über die Pisten, den schnatternden Mitreisenden, den aufregenden vielfältigen Eindrücken der Fahrt. Wir beziehen unser einfaches Quartier und ergeben uns: der Ruhe, der Weite, der Schönheit. Während ein paar Mongolen unser Abendessen vorbereiten - diesmal Hammel in der Kanne - wandert jeder für sich in eine andere Himmelsrichtung hinauf auf die Hügel oder hinein in die Felsen und Wiesen. Wir entdecken blauen Enzian und Edelweiß in Mengen, putzige Erdhörnchen stehen wachsam auf ihren Hinterbeinen und beobachten ihre Umgebung, der schwarze Milan zieht geruhsam weite Kreise über uns. Langsam beginnen die Mägen zu knurren und wie von einer unsichtbaren Schnur angezogen versammeln sich  alle mehr und mehr Richtung Feuerstätte. Die dortige Kanne ist schichtweise mit heißen Kieselsteinen, Fleisch und Kartoffeln angefüllt und alle warten auf das kleine Zeremoniell, als beim Öffnen der heiße Dampf entweicht und den Raum in der größten Jurte mit köstlichen Düften erfüllt. Es mundet allen vorzüglich. Nach letzten heißen Gesprächen an unserem Tisch mit Maria und Christian, unseren exquisiten ZEIT-Experten, mit denen wir ständig zusammenhängen, gehen wir müde zu unserer kleinen Jurte.


 

Tag 20

24. Juli 2018

Mitten in der Nacht. Yoko wundert sich, als wir sie links und rechts eingehakt zu ihrer Jurte begleiten: „Das habe ich ja noch nie erlebt, dass die Erde schwankt.“ So könnte man das auch sehen; Dschingis Khans Wässerchen vom letzten Abend hat dabei sicherlich mitgeholfen.

Aber auch unsere Nacht ist unruhig. Hunde jaulen sich über Täler hinweg klagend an und es wird bitterkalt. Die Kamelhaardecke reicht nicht mehr aus und ich ziehe alles über, was ich in meinem Rucksack vorrätig habe. Dann beginnt das Trommeln der Schamanen, welches sich nach gewissen zeitlichen Abständen eintönig  wiederholt – immer dann, wenn man kurz weggedöst ist. Gegen 2 Uhr klopft Karl-Heinz gegen die Holztür - er wollte ursprünglich mit uns zusammen in die Milchstraße schauen - ich bin aber vor Kälte wie gelähmt und kann nicht mehr reagieren. Nicht nur wir stecken bei Sonnenaufgang zerfleddert unsere Köpfe aus den niedrigen Holztürchen. Alle wirken etwas schweigsam.

Die Nacht ist aber bald  wieder fast vergessen. Nach einem schlichten Frühstück laufen wir uns die Köpfe frei, während wir den Weg zum Bus zurücklegen. Dabei verfolgen wir, wie morgens die Aktivitäten der Nomaden zunehmen. Blitzschnell treiben sie hoch zu Ross ihre Herden zusammen, egal ob Yaks, Kühe oder Pferde. Eine lange Holzstange in der Hand wirkt wie ein verlängerter Arm. Bewundernswert ihre Geschicklichkeit. Man sieht, wie verwachsen sie mit ihren Tieren sind.

Nun beginnt eine lange, lange Fahrt durch die sanfte mongolische Hügellandschaft. Während wir die grasenden Herden beobachten erklingt schwermütiger russischer Tango aus den 30er Jahren vom König des russischen Tangos, Pjotr Leschenko, den Christian Schmidt-Häuer uns ans Herz gelegt hat. Die Musik passt hervorragend zur Gesamtstimmung. Christian hat eine sehr unterhaltsame Art, seine Themen zu präsentieren und so erfahren wir in humorvollen Einzelgesprächen und bei seinen Vorträgen viele Details aus seinem beruflichen und persönlichen Leben. Gerne spreche ich aber auch mit Maria, die direkt vor mir sitzt. Sie hat eine sehr warme Art zu erzählen und so drehen sich unsere Themen um Ungarn, ihrem Geburtsland, um Zigarillos, die sie gerne schmaucht und sonstige Dinge des Alltags.

Wir verstehen uns alle sehr gut und so entscheiden sich Christian und Maria, die kommende Nacht in den Mehrbettzimmern bei Sukhbaatar an der Grenze zur Russland mit uns zu verbringen. Mit Yoko und Hanne haben wir uns ja längst verabredet. Was uns am Ende der Fahrt jedoch erwartet, lässt allen den Schrecken in die Glieder fahren. Dass wir einfach untergebracht sein werden ist allen klar, dass wir aber in solch verdreckte Überwürfe schlüpfen sollen, ein Klo mit 26 anderen teilen müssen und fast durch eine Decke fallen, bei der die fußgroßen Löcher mit einfachem welligem PVC abgedeckt sind, ist schwer für uns, würden wir aber am Ende des Tages hinnehmen - bis man uns dann doch eine Alternative anbietet, die wir 6 Tapferen glücklich annehmen. Wie auf den Fotos zu erkennen ist, sitzen wir nun in nachdenklicher Stimmung an unserem großen Tisch, vertiefen uns in hoch anspruchsvolle Literatur und diskutieren tiefgründige Fragen, die die Menschheit halt so aufwirft...

Nun gut, ich übertreibe ein wenig. Ja, wir diskutieren; ja, wir sind tiefgründig; ja, es dreht sich auch um Literatur. Was den Abend aber wirklich ausmacht, ist seine Heiterkeit, sein Witz, seine Unbeschwertheit, die Freude aneinander, die leckeren geistigen Köstlichkeiten. Pling, plong geht es hin und her mit Wortgeplänkel und Gelächter. DAS macht diese Reise aus. All die zuvor gejagten Insekten, Kakerlaken, Käfer und sonstigen Getiere stören uns nun nicht mehr. Alle fallen irgendwann erschöpft auf ihre Bodenmatratze und tauchen ein in tiefen Schlaf.


Tag 21

25. Juli 2018

Nach einer Katzenwäsche an einer der Freiluft-Waschbecken, die extra für uns sauber geschrubbt worden sind, wandere ich mit Manfred ein letztes Mal über die Hügel dieses schönen Landes, bevor wir müde wie alle anderen auch an unserem letzten mongolischen Frühstück nippen. Nun ruckeln wir sorgenvoll zur 30km entfernten Grenze. Was wird uns erwarten?  

Wir werden angenehmst überrascht. Sicher, eine Grenzübertritt dauert immer ein paar Stunden, aber diesmal überbrückt Christian diese Zeit mit kurzweiligen Erzählungen und Vorlesen. Der geborene Geschichtenerzähler! Die Zeit vergeht wie im Fluge. Die Zöllner machen ihre Arbeit pflichtgemäß, ordentlich, aber freundlich. Der Bus muss bei den Russen zwar komplett leergeräumt werden, aber auch das passiert ohne Schikanen.

Die Spannung schwindet und zurückgelehnt geben wir uns erneut der Landschaft hin. Kleine Wäldchen aus Ulmen, Schwarzkiefern und Birken tauchen auf, die Landschaft bleibt wunderschön. Wir haben das Glück, dass uns Christian auch jetzt noch vieles zu erzählen hat und wir so wie im Fluge Ulaan-Ude erreichen. Unsere erste russische Stadt.

Endlich wieder duschen können! Und nun statt Abendessen im russischen Barockstil des Hotels raus in dieses neue Abenteuer Russland mit Leninkopf und tanzendem Springbrunnen im Rhythmus von klassischer Musik.


Tag 22

26. Juli 2018

 

Wir befinden uns im Einzugsgebiet des Baikalsees. Hüglige bewaldete Landschaft, dörfliche Ansiedlungen, wilde Flüsse (unbegradigt, frei fließend), ordentlicher Straßenverlauf.

Unsere neue russische Reisebegleitung Larissa liest uns viel Zahlenmaterial zu der Gegend und den hier ansässigen Burjaten vor. Wir hören geduldig zu.

Farbenfrohe Fensterumrandungen und Dächer in Blau-, Grün- und Türkistönen hellen die Straßenbilder der dörflichen Strukturen auf. Es wird fast ausschließlich Holz für die Ansiedlungen verwendet. Walm- und Spitzdächer wechseln sich ab. Obwohl nur 3,1 Menschen/qm in Burjatien leben, haben sich offensichtlich die meisten entlang unserer Strecke niedergelassen. Kleine Gärten mit gerade erblühenden Kartoffelfeldern sind um die einfachen Gebäude angelegt. Die meisten Menschen hier haben sich dem schamanischen und buddhistischen Glauben angeschlossen. Man glaubt traditionell nach wie vor an Geister und lässt sie am täglichen Leben teilhaben. Immer wieder aber begegnen uns kleine orthodoxe Kirchen oder auch mal ein christliches Kreuz am Wegesrand.

 Heute findet bereits unser zweiter Platzwechsel statt. Wir sitzen nun ganz hinten im Bus und spüren so jede Bodenunebenheit doppelt. Ein Burjate hält sein Auto an unserem nächsten Kaffeerastplatz an und fragt uns auf Englisch, wo wir herkommen. Alemania. Prompt reagiert er erfreut. Oh, Football, Alemania! Und dann ein Leuchten auf seinem Gesicht: Football, Francia!!! – und fährt begeistert strahlend mit erhobenem Daumen davon. Tja, das waren noch Zeiten, als im letzten Jahr jeder, der uns auf der Strecke China – Kirgistan – Usbekistan bis Hamburg ansprach, Neuer und Reus in einem Atemzug mit Alemania und Football-Champion nannte.

 

Nun nutzt Prof. Dr. Maria Huber die Gelegenheit, aus ihrer Zeit in der Sowjetunion zu sprechen. Viele interessante Details über die Gründung der Russischen Akademie der Wissenschaften, später dann über ihre Arbeit als Wissenschaftlerin im Land würzen die Fahrt und geben Einblick in Zeiten, in denen man mit einem Fuß immer irgendwie im Gefängnis stand. Ich bin extrem dankbar, dass wir Maria und Christian an Bord haben, da sie unsere Quellen für echte Informationen aus Vergangenheit und Gegenwart in diesem Lande sind.

Endlich endlich aber kann ich meine Füße in das ersehnte Nass des Baikalsees tauchen - wir sind da! Während einer ersten Rast will ich wissen, was es mit den angekündigten 12° C Wassertemperatur auf sich hat. Aber offensichtlich stimmt das alles nicht. Drinnen im Wasser ist es so warm oder kalt wie draußen. Der Himmel zieht sich zusammen und als wir an der kleinen Hotelanlage ankommen, wundert mich nichts mehr: es ist ein Ski-Hotel mit den vorbeigleitendenden Gondeln eines Sessellifts. Der Regen lässt nicht lange auf sich warten, also blicke ich jetzt durch ein Fliegengitter auf den Skilift, im Hintergrund Birken und lausche, während ich schreibe, dem Regen, der mehr und mehr zunimmt.

Gleich geht es los zum Abendessen; vielleicht verkosten wir heute den berühmten Baikal-Fisch, den Omul. Ich werde berichten...

 

Nein es gibt ihn nicht, den Omul, dafür jedoch wieder wunderbare Gespräche am Tisch. Unter anderem diskutieren wir, wie es auf einer solchen Reise möglich wäre, mehr mit Menschen aus den Ländern, die wir besuchen, in Kontakt  zu kommen. Schlußendlich ziehen wir das Fazit, dass wir natürlich kein Gesamtbild erreichen können, wenn wir nicht im Lande selber leben, bzw., wenn nicht jemand von sich aus auf uns zukommt und sich öffnet. Aber wie sollte das bei solch kurzen Aufenthalten geschehen können? Schade. Mit diesem Fazit erheben sich die meisten und gehen zu Bett. Ein kleiner Kreis bleibt zurück. Plötzlich setzt sich eine fremde Dame an meine Seite. In gebrochenem Deutsch stellt sie sich als "Ärztin der Geburtshilfe" vor. Ihre goldenen Zähne blitzen bei jeder Silbe auf. Sie legt mir einen Zettel vor, auf dem in Kyrillisch Informationen und Telefonnummern aufgelistet sind. Das kann ich gottseidank übersetzen. Mühsam erklärt sie mir dann, was ihr Anliegen ist und äußert den Wunsch, ein russisches Paar in Deutschland zu informieren, dass ein alter Freund vor 3 Jahren gestorben sei. Sie könne das aus Russland nicht bewerkstelligen. - Es wird ein sehr persönliches und herzliches Gespräch. Es geht also doch, näher an die Menschen heranzukommen, auch auf kurzen Reisen. Ich bin heute sehr dankbar für diese kleine Begegnung!


Tag 23

27. Juli 2018

 

Freundlich weckt uns die Sonne. Nach einer wieder überraschend kalten Nacht eine Wohltat, die wir nutzen, um uns aufzuwärmen. Uns steht ein freier Vormittag zur Verfügung und so setzen wir uns flugs in den Sessellift, der direkt vor unserer Frühstücksterrasse startet. Wir schweben fast 40 Minuten in absoluter Stille über Beeren sammelnde Barjuten und helle Vogelbeer- und Birkenwipfel hinweg. Dann von oben der weite Blick hinüber zum Baikalsee, dem Meer, wie er hier genannt wird.

 

Nach einem letzten Mittagessen soll es weitergehen. Vor uns liegen nur ca. 200km entlang des Baikalsees, aber aufgrund der Straßenverhältnisse (Serpentinen, Baustellen, LkW etc.) dauert es 5 Stunden, bis wir am Ziel ankommen.

 

Abwechselnd dösen wir vor uns hin, lauschen den Vorträgen über den Baikalsee, Schamanismus, Humboldt und der Geschichte der Gründung des ZEIT-Büros in Moskau durch Christian Schmidt-Häuer.

 

Es fallen Namen wie Heinrich Böll, Lew Kopelew, Václav Havel und ist gespickt mit kleinen Anekdoten und Geschichten über das KGB und das Leben überhaupt.

Wir holpern so Stunde über Stunde dahin, bis wir endlich seitlich Wasser durch die Wälder blitzen sehen - unser Ziel ist erreicht. In dem Dörfchen Listwijanka, am Zipfel einer Bucht liegt das Touristenhotel mit seinen Zimmerchen im Stil von russischem Barock, wie ich das heimlich für mich benenne. Der benachbarte Hund findet in der Nacht immer einen neuen Anlass, sein Haus lauthals bellend zu verteidigen und so ist an Schlaf heute leider nicht wirklich zu denken.


Tag 24

28. Juli 2018

 

Abenteuerlustig starten wir in unseren heutigen freien Tag in dem kleinen Touristenort Listwijanka am Ufer des Baikalsees.

 

Noch liegt die kleine Uferpromenade verschlafen vor uns und unserem farbenfrohen, aber einfachen Hotel; einzelne Händler bauen winzige Klapptische auf, um ihre Kofferraumware anzubieten. Sie werden mit gehäkelten Tierchen, selbstbemalten Barbie-Kopien, frisch gesammelten Beeren, die noch vor Ort einzeln hübsch in durchsichtige Plastikbecherchen verlesen werden oder kleinen Schildkröten, die fürs heimische Aquarium erwerbbar sind, bestückt. Auf dem örtlichen Markt drapieren rabiate Verkäuferinnen die berühmten Spezialitäten der Gegend, aufgespießte getrocknete und geräucherte Baikalfische auf ihren Budentischen. Den Omul, nach dem ich seit Tagen Ausschau halte, werde ich vergeblich suchen. Wie ich höre, darf er seit ca. 5 Jahren aufgrund von Überfischung nicht mehr angeboten werden. Wer jedoch nach weiteren Spezialitäten Ausschau hält, wird trotzdem fündig: da einige Mitreisende aus beiden Bussen mit kleinen Erkältungen zu kämpfen haben (die starken Temperaturschwankungen zwischen den Tagen und Nächten waren etwas unerwartet), horche ich auf, als eine Burjatin ihre Ware anbietet: gegen Erkältung nimmt man in Honig eingelegte kleine Baby-Kiefernzapfen der sibirischen Kiefer, die höchstens 1cm lang sind, vergleichbar mit unserem Maiwuchs, bei dem frische Tannenspitzen ausgezogen werden. Jetzt bin ich auf die Wirkung gespannt.

 

Eine kleine Gruppe hat sich zusammengeschlossen, um gemeinsam auf einem GBB (Glasbodenboot) den Baikalsee zu erforschen. Nach unten erkennen wir so gut wie nichts, was bedeutet, dass es nichts gibt: außer steinigem Untergrund hin und wieder kleine Algennester, ansonsten aber tatsächlich klares Wasser und keinerlei Trübstoffe, Schmutz oder gar Fische.

 

Unvermittelt werden wir an Bord gerufen. Gestikulierend versucht uns unsere Begleiterin klar zu machen, dass wir auf den Schamanenstein inmitten des Sees zusteuern. Aufgeregt halten wir unsere Opfermünzen bereit, denn unvorbereitet sind wir nicht. Weit ausholend werfen wir die Silberlinge aufs Wasser, pling, pling, pling, dann ein Aufschrei, zwei Aufschreie, drei! Yoko hat in ihrer Begeisterung gleich ihr Handy mitgeopfert, im gleichen Atemzug aber wohl entschieden, dass das wohl doch nicht so schlau sei. Alle Fotos der letzten Wochen verloren, alle Kontaktdaten weg! Wir versuchen sie zu beruhigen, denn wer weiß, was unsere Schamanengeister wohl noch Gutes mit ihr vorhaben werden.

 

Als Trost lässt unsere Russin nun einen Zinkeimer ins Wasser gleiten und holt klares Baikalwasser an Bord. Wir dürfen alle kosten und gehen erfrischt an Land.

 

Nach dem Mittagessen im Hotel nutzen viele die kostbare freie Zeit zu einem kurzen erholsamen Nickerchen. Die Sonne brennt von oben herab und nicht nur wir versammeln uns danach erneut am Strand. In kürzester Zeit ist aus diesem beschaulichen Ort ein Rummelplatz geworden. Autolawinen wälzen sich durch die einzig zu befahrende schmale Ortsdurchfahrt, Menschen drängen sich auf den restlich verbliebenen Flächen. Wir sind erschüttert. Lautsprecheranlagen versuchen sich gegenseitig zu übertönen, die einen mit Durchsagen zu fantastischen Ausflugsangeboten, die anderen mit Hardrockklängen zwecks Ankündigung anderer unschlagbarer Überraschungen. Maiskölbchenverkäufer sitzen mit apathischem Blick vor ihren dampfenden Töpfen, Familien packen auf dem steinigen Ufer ihre Picknicktüten aus, schöne Mädchen sitzen auf den Stegen und fotografieren sich gegenseitig mit professionellen Posen. Nein, das ist uns zu viel. Zu Viert wollen wir dem entfliehen und beratschlagen, was zu tun ist. Genau in diesem Augenblick tritt ein junger Mann auf uns zu und bietet uns an, ein Speedboot zu mieten, ein NGBB (Nicht-Glasbodenboot).

Warum nicht ein zweites Mal in See stechen? Wir sind hier am Baikalsee und haben nun die Chance, noch weiter hinauszufahren, in ganz kleiner Freundesrunde, während alle anderen Ausflugsboote voll mit quirligen Menschenmassen herumtuckern. Wir wünschen uns slow speed vom Fahrer und lassen bald die touristische Kulisse hinter uns. Während wir in das glitzernde Nass hinausfahren, verstummen die Gespräche nach und nach. Das ist es doch, was wir wollten! Den Baikalsee erleben. Das große „Meer“, wie die Einheimischen sagen, das wunderbare wandelbare Gewässer mit den vielen Gesichtern, je nach Jahreszeit. Sicherlich lässt sich das Gebiet auch anders erkunden, so wie es die Mitreisenden an diesem freien Tag gemacht haben, mit denen wir am Abend sprechen: sei es wie Wolfgang, der Flora und Fauna gesucht und gefunden hat, sei es wie Heiner und Ursula, die auf dem Hosenboden den Hang hinabrutschen, um zum Ziel zu kommen oder wie andere, denen zufällig der Zarengold beim Wandern entlang alter Gleise begegnet ist. Für uns ist es so, und genau so richtig, wie wir es gemacht haben.

 

Sehr entspannt lassen wir den Tag oben in der Bar unseres Hotels ausklingen. Der zart von Wolken umhüllte abnehmende Mond spiegelt sich im Wasser, Ruhe kehrt ein im Dorf, die blinkenden Lichter ringsum erlöschen nach und nach, während sich Prof. Mária Huber, Christian Schmidt-Häuer und wir anderen Üblichen uns mit Zigarillos, Architektenkammern, Nachfolgeregelungen, Lesungen am Bodensee, geistigen Getränken, Sitzordnungen im Bus, Sinn oder Unsinn von Coaching, Auftritten am Ballhof in Hannover, japanischen Onsen usw. beschäftigen. Ihr lieben LeserInnen seht, wie viel man in kurzer Zeit abarbeiten kann… Aber irgendwann ist auch damit Schluss und glücklich über einen rundum gelungenen Tag fallen wir in unsere Betten.


Tag 25

 

29. Juli 2018

 

Nach Irkutsk, der unwirklich weit entfernten Stadt aus „Zug um Zug“, dem Gesellschaftsspiel, in dem man europäische Städte miteinander verbinden muss, sind es heute nur 70km. Der Flug nach Moskau dauert von hier aus über 5 Stunden. Diese sibirische Stadt ist uns so fremd, so weit entfernt von unserer Vorstellungskraft - aber als wir einfahren doch sehr vertraut. Modern, aufgeräumt sind die Straßenzüge, freundlich die Menschen im Hotel, die uns mit Brot und Salz in gutem Englisch begrüßen.

 

Ich freue mich, endlich einmal wieder in einem schönen Hotel zu sein und entscheide mich, die Stadtrundfahrt nicht mitzumachen. Mein leichtes Fieber und die krächzende Stimme ermahnen mich, eine kleine Auszeit zu nehmen. Mach ich.

 

Als am Abend alle von der Fahrt zurückgekehrt sind, gibt es einen kleinen Abschiedsumtrunk für Manfred, der morgen in der Früh aus beruflichen Gründen nach Deutschland zurückfliegen wird. Er muss aber allen dringend versprechen, in Moskau wieder zu uns zu stoßen. Dringend.

 


Tag 26

30. Juli 2018

 

Pünktlich um 7 Uhr holt das Taxi Manfred vom Hotel ab. Viele viele Stunden Flug liegen vor ihm, bevor er in Frankfurt landen wird.

 

Die Weite Sibiriens wird heute nicht nur bewusst, wenn man die Flugzeit von 5 Stunden bis Moskau realisiert, sondern auch durch die vor uns liegende Strecke von 520km, die einen kleinen Bruchteil dessen ausmacht, was bis Moskau noch zu bewältigen ist.

 

Ja, wir fahren, fahren, fahren, mal holprig, mal flüssig, aber noch vermisse ich das, was uns angekündigt ist: die endlos vorüberziehende Birkenlandschaft. Stattdessen sanfte Hügel, mal kleinere, mal größere Kiefern-, Lärchen- und Birkenbestände, aber immer auch großflächig Getreideanbau, Rapsfelder oder regelmäßige Dorfstrukturen. Die Dörfer liegen abseits der Straßen, die sehr einfachen Holzhäuser haben üblicherweise einen dicht bepflanzen Garten innerhalb ihrer Holzumzäunungen, die Straßen sind meist ungepflastert/ungeteert. Erste Heuanhäufelungen zeigen, dass manche der riesigen Wiesen intensiv genutzt werden, die meisten jedoch nicht. Wunderschöne leuchtende Blütenköpfchen begleiten uns am Wegesrand die ganze Strecke über.

 

Heute verkürzen erst Christian und dann Mária den Tag durchgehend mit ihren Vorträgen über die 80er Jahre, in denen sie die politischen und ökonomischen Bedingungen mitdurchlebten und analysierten. Christian schrieb damals die erste Biografie über Gorbatschow und war daher sehr nahe an der Person und dem Umfeld. Mária vertieft bestimmte ökonomische Themen auf ihre unterhaltsame Art. Auch Larissa und Wolfgang dürfen an ihre Fachgebiete ausgiebig anknüpfen.

Gegen 19 Uhr erreichen wir unser Übernachtungsstätte. Es wird kurz vor dem Ziel mehrfach betont, wie einfach gestaltet unsere Unterkunft sein würde, aber heute bin ich doch am Rande meiner Belastungsgrenze angelangt. Sicherlich habe ich schon vieles ertragen und mich immer wieder auf alles klaglos einstellen können, aber beim Anblick dieser Räumlichkeiten ist die Grenze erreicht. Ich gehe hier auf keine Details ein, habe das bei meinen Kollegen zu Genüge getan und hoffe jetzt nur noch auf ein Glas Wein, um irgendwie und irgendwann einschlafen zu können. Beim Verlassen eines dann doch netten Gasthauses werden Bettina und ich von einer kleinen Schar jugendlicher Kinder fröhlich radebrechend umringt. Sie haben uns schon erwartet. Ein Mädchen steckt mir einen kleinen Zettel mit den Namen der kleinen Truppe zu und alle sind ganz ganz glücklich darüber, mit uns sprechen zu können. Dies ist eine sehr herzliche Begegnung und versöhnt mich dann doch mit meiner Umgebung; bin ja wirklich recht schnell zu besänftigen.


Tag 27

31. Juli 2018

 

Zerschlagen sitzen alle weit vor der Zeit auf gepackten Koffern an der Rezeption und warten auf die Abfahrt. Ingrid hat sogar dort übernachtet, da sie ihr Zimmer nicht ertragen konnte. Nach dem Frühstück im Restaurant vom Vorabend (bei dem all das aufgetischt wird, was es bereits am Abend gab) fahren wir in den kalten, aber strahlend blauen Vormittag hinein.

 

Die transkontinentale Strecke ist gut, meist zweispurig, hin und wieder unterbrochen von kleinen Baustellen, an denen Frostschäden behoben werden oder Bauarbeiter gerade Päuschen einlegen. Der Verkehr ist absolut überschaubar, zumeist begegnen uns Lkws. Und endlich durchfahren wir sie, die lichtdurchfluteten Birkenwälder, die mich sehr stark an die Gegend um Hitzacker im Wendland erinnern.

 

Wir fahren durch alte Straßendörfer und wie der Blitz durchfährt mich der Gedanke, dass es genau so (oder so ähnlich) vor ca. 200-300 Jahren auch bei uns in den ländlichen Gebieten ausgesehen haben muss. Wären die alten rostzerfressenen Motorräder in den Höfen nicht zu sehen und nicht die eine oder andere Satelittenschüssel vor den winzigen Fensterchen angebracht, könnte es genau so ausgeschaut haben: die von den Jahren und Jahreszeiten gebeugten Holzzäune, die sich schützend eng um die kleinen Gärtchen legen, die großen Kohlköpfe, die dicht neben den Johannisbeeren wachsen, das etwas größere Kartoffelfeld, welches den Hauptanteil in jedem Garten einnimmt und das Feuerholz, welches entweder irgendwo mehr oder weniger ordentlich aufgeschichtet auf den kommenden Winter wartet oder auf einem Haufen abgeworfen wurde. In den kleinen Innenhöfen drängen sich Hüttchen neben Schuppen. Was wofür angedacht ist, kann ich von außen nicht erkennen. Was ich weiß ist, dass es bis heute in den meisten Hütten keine Toilette gibt; ich vermute da draußen daher die klassischen Plumpsklosetts. Die Fenster sind im Allgemeinen blau umrandet, manchmal ornamentreich verziert, manchmal nicht. Eine Einfriedung berührt die nächste, als wollten alle Dorfbewohner dicht aneinanderrücken.

 

Da die transsibirische Eisenbahn meist parallel zu unserer Straße verläuft, begegnen uns ständig ellenlange Güterzüge, die Ware bis nach China bzw. in den Osten Sibiriens hinaustransportieren – oder zurück.

 

Christian und Larissa bemühen sich, uns mit spannenden Geschichten von Kosaken, Jelzin und Putin wach zu halten, was ihnen jedoch in meinem Fall nicht gelingt. Entweder döse ich vor mich hin oder blicke träumend in die satte, abwechslungsreiche Landschaft hinaus. Es ist schön, so dahin zu reisen, aber die Stunden dehnen sich dann doch. Sehr froh erreichen wir letztlich Krasnojarsk, wo wir endlich wieder eine ordentliche Dusche nehmen können. Auch heute Abend bin ich noch erschöpft von meinem kleinen Infekt und ziehe mich früh zurück (beachte: ab heute haben wir erstmals eine Stunde durch den Zeitzonenwechsel dazugewonnen - jetzt fehlen noch 5 bis Hamburg!).

Lieber Manfred, obiges Foto wollten dir liebe Hamburger Mitreisende noch als Mahnung zukommen lassen (haben sie doch nett arrangiert, oder?!) - damit du bald wieder in den Schoß der Gruppe zurückkehrst ;-)

 


Tag 28

01. August 2018

 

Ausschlafen bis 9 Uhr, strahlend blauer Himmel, perfekte Temperaturen zwischen 23° und 24°C, Galina, eine lokale Stadtführerin, die mehr als stolz auf ihre Heimat ist, richtig gut gelaunte Mitreisende – nichts könnte für einen Tag mitten in Sibirien vielversprechender sein.

Tatsächlich rühmt sich die Millionenstadt Krasnojarsk damit, der „Mittelpunkt“ Russlands zu sein: der sie durchströmende Fluss Jenessej teilt das Land je ca. 4000km nach Westen und 4000km nach Osten. Gleichzeitig trennt er West- und Ostsibirien voneinander.

Wie bei jeder wachsenden Großstadt ist der äußere Eindruck - so wie bei allen anderen Zentren auf unserer Strecke - auf den ersten Blick eher unspektakulär. Moderne Zentren, Rohbauten, Altstadtbereiche mit historischen Einsprengseln (hier vor allem Holzblockhäuser mit ausgiebigen Holzschnitzereien im sogenannten Sibirischen Barock).

Der Jenessej spielt in und für die Stadt eine wichtige Rolle. Galina vermag es hervorragend, Begeisterung für ein Denkmal zu erwecken, welches am schönsten Platz der Stadt (Theaterplatz) den Fluss ehrt. Verkörpert durch einen „schönen, kraftvollen, starken Mann, wie ihn sich die Frauen wünschen“ (nicht meine Worte), umspielen und speisen ihn 22 000 Zuflüsse, symbolisiert durch 7 veredelte, schöne Frauenstatuen.

 

Da sich der  Fluss direkt vor unseren Augen entlangschlängelt, können wir gleich eines der Wahrzeichen der Stadt begutachten, die Kommunale Brücke, die die beiden Ufer miteinander verbindet. Ein weiterer Stolz Krasnojarsks ist eine kleine Kapelle (Paraskewa-Pjatniza), die uns vom ehemaligen Wachhügel einen wunderbaren Blick über die Stadt gestattet. Um die Kapelle ranken sich einige Geschichten, denen wir sicherlich interessiert zuhören und sie notieren, aber bevorzugt genießen wir die klare, lauwarme und trockene Luft, die uns hier oben um die Nase weht und den weiten Blick über eine sichtbar prosperierende Stadt. Überall sind Arbeiter am Werk und bauen, reparieren und kontrollieren. Die Emsigkeit ist auffallend, hat aber 2 einleuchtende Gründe. Da die Böden im hiesigen Kontinentalklima nur 3 von 12 Monaten wirklich frostfrei sind, muss alles, was an Arbeiten anfällt in entsprechend kurzer Zeit bewerkstelligt sein. In den kurzen Sommern wird es tagsüber bis zu 35°C warm, im Rest des Jahres bis zu -40°C (tagsüber). Für die sympthische Galina ist der Sommer bereits vorüber und es geht rasend schnell auf den kurzen Herbst zu.

Der 2. Grund ist trivial: im nächsten Jahr findet die 29. Winteruniversiade in Krasnojarsk statt. Um die 60 Länder werden vertreten sein und daher soll die Stadt bis dahin in neuem Glanze erstrahlen. Auf uns macht sie aber jetzt schon einen äußerst freundlichen, modernen und aufgeräumten Eindruck. Wir diskutieren erstaunt unsere Vorurteile und anders gearteten Erwartungen. Wir sind uns einig: diese hohen Standards hätten wir alle nicht erwartet! Kleines Beispiel: junge Servicekräfte überraschen uns mit ihren Englisch- und/oder Deutschkenntnissen (was uns in China in 99% aller Fälle nicht begegnet ist); bei mehr als 120 000 Studenten, also mehr als 10% der Bevölkerung vielleicht auch kein Wunder...

Aber es geht noch weiter mit den Überraschungen. Auf dem Weg zum nächsten Ziel, einem der wichtigsten Stauseen und Schiffshebewerken Russlands, besuchen wir ein altes Dorf mit originalen Holzhäusern direkt am Jenessej. Das Bilderbuchwetter lässt hier die Fotoapparate heiß laufen. Neben der Postkartenidylle existiert aber auch die manchmal doch sehr nüchterne Realität, wenn man sich z.B. den antiken Wagen mit dem Roten Kreuz genauer unter die Linse nimmt. Er fährt gerade Richtung Dorfapotheke, die gleichzeitig die Aufgabe eines stationären Krankenhauses übernommen hat.

Wir rollen jetzt aber genüßlich weiter durch lichtdurchflutete Birkenwaldhügel im Naturschutzgebiet Stolby. Bussarde kreisen über uns und beim Flanieren versuche ich, ein paar der Heilpflanzen zu bestimmen, die hier, genau wie Pilze und Beeren, gesammelt und häufig am Straßenrand zum Kauf angeboten werden.

Nach einem Kurzbesuch am 124m hohen Wasserkraftwerk, dem 3. Wahrzeichen Krasnojarsks, gleiten wir mit dem Sessellift in die wunderschöne Hügellandschaft hinauf, um die Stadt, die uns tatsächlich alle berührt hat, noch ein letztes Mal von oben zu bewundern.

Auch der Jenessej nimmt uns noch ein letztes Mal gefangen. Unseren Abend verbringen wir an seinem Ufer in einer netten Gaststätte, wo wir gleich 2 Geburtstagskinder aus der Gruppe Shanghai feiern dürfen, Thomas und Ingeborg. Thomas lässt es sich nicht nehmen, alle, also auch uns, die Gruppe Hamburg zu einem Bier einzuladen. Gegenüber unseres Hotels gibt es doch tatsächlich einen Bier-Store, in dem Biersorten aus aller Welt angeboten werden, auch frisch gezapft. Unglaublich die Vielfalt. Trotz unserer hörbaren Begeisterung wirft uns der gestrenge  Verkäufer exakt auf die Minute um 23 Uhr vor die Tür. Feierabend. Kasse zu.

Aber auch das meistern wir. Wie immer. Auf den Stufen vor dem Store sitzend prosten wir uns zu, fröhlich, entspannt, launig, auf einen richtig gelungenen Tag, mitten in Sibirien!

 


Tag 29

2. August 2018

 

Weiter geht´s. Wieder haben wir mehr als 500km vor uns. Mittlerweile macht das niemandem mehr etwas aus. Wir haben unseren täglichen Rhythmus in Fleisch und Blut übernommen: Vorträge, regelmäßige Pinkel-, Kaffee-, Fahrer-, Foto- oder Essenspausen, dösen, schlafen, in die Ferne schauen, sinnieren, Landschaften bestaunen, meditieren, lesen, alles auf sich wirken lassen, sich hingeben.

Sibirien ist zwar menschenarm aber nicht menschenleer. Die Strecke ist immer abwechslungsreich, Ansiedlungen, kleine Städtchen, kleine Dörfer, wir haben immer etwas zum Schauen. In einer mittleren Kreisstadt essen wir einmal wieder sehr traditionell zu Mittag (Leber auf Buchweizen). Irgendwie ist das für viele sehr gewöhnungsbedürftig; also los, ab ins Getrubel.... Wir besuchen schnell, schnell einen winzigen Bauernmarkt um die Ecke, wo wir mit vielen Blicken auf Schritt und Tritt begleitet werden. Nach ein paar Minuten entspannen sich die Mienen der Händlerinnen und Händler und manch freundliches Lächeln taucht in den vielen gezeichneten und zerfurchten Gesichtern auf. Die Ware ist überschaubar, so, als ob nur das angeboten wird, was man selber nicht aufbrauchen konnte.

Bei einer weiteren Rast im Nichts entdecken wir eine frisch erstellte kleine Kirche nahe an einem Friedhof, der zwischen Birken versteckt liegt. Hier ist ein besonderer Ort voller berührender Ausstrahlung. Auffällig ist, dass die Männer, die hier ihre letzte Stätte gefunden haben, kaum älter als 40 bis 50 geworden sind. Die Gräber sind von unendlich vielen bunten Blumen übersät - alle aus Plastik und Kunststoffen, damit sie überdauern können.

Und wieder geht es weiter. Am Abend in Kemerowo, einer modern erscheinenden, recht gepflegten Stadt mit immerhin auch gut 500 000 Einwohnern fährt der Bus immer weiter tief in einen freundlichen Wald hinein, immer tiefer und tiefer - bis wir an einem sehr unerwarteten Komplex ankommen, am Hotel Graal. Dieses Haus ist eine angenehme Überraschung. Hier lässt es sich so richtig entspannen. Ich ziehe das Losglück: die Suite. Na gut, was soll ich aber nun alleine mit der Ledercouch-Garnitur anfangen, dem kostbaren Porzellan-Service in der Vitrine und der reichhaltigen Gläserauswahl daneben? Auf die große Sause habe ich keine Lust, stattdessen genieße ich in diesem speziellen Ambiente ein ungewöhnliches Abendessen und ziehe danach die kuschelige Bettdecke über mich; heute Nacht soll die Temperatur auf 1°C sinken.


Tag 30

3. August 2018

Wir fahrn, fahrn, fahrn, auf der Autobahn....

Spürt ihr das Rütteln und Schütteln? Vorbei an sich immer weiter ausdehnenden offenen Landschaften nähern wir uns trotz der recht kurzen Strecke von 270km nur zögerlich der größten Stadt Sibiriens: Novosibirsk. Rasten an der Strecke mit Lunchpaketen; wir sind froh darüber, denn die üppigen Mahlzeiten mit mindestens 3 Gängen sind sehr anstrengend und halten immer wieder sehr auf.  Vor allem, wenn beide Busse parallel unterwegs sind und plötzlich 50 Leute ein Restaurant erstürmen. Aber meistens schaffen wir es entspannt in halbstündigem Abstand zum 2. Bus (obwohl wir uns immer sehr freuen, die "anderen"mit großem Hallo wiederzutreffen - das Frühstück ist ja kaum vergangen, bei dem wir zuletzt zusammengesessen haben... ).

Dann fahren wir ein in die Millionenstadt. Modern kommt sie daher, voller Menschen, viel Verkehr, verlockende Fassaden, egal ob modern oder traditionell. Ich bin sehr gespannt auf den morgigen Tag.

Leider verabschieden sich heute Maria und Christian. Zwei Menschen, die mir ans Herz gewachsen sind. Aber wir bleiben in Kontakt. Au revoir! Bis bald!


Tag 31

4. August 2018

Was mich heute überhaupt nicht interessiert: der Zoo und der Bahnhof und das Lokomotiv-Museum von Novosibirsk. Gut, das Sillicon Valley Russlands wäre schon eine Reise wert, aber dafür würde mir zuviel andere kostbare Zeit verloren gehen. Also kein Akademgorod, sondern Novosibirsk pur!

Alleine, ohne meine Zeit-Reisenden mache ich mich auf den Weg, in meinem Tempo, mit meinen Augen, gehe dorthin, wohin mich meine Füße tragen. Tatsächlich lasse ich mich treiben, erreiche aber dann doch wie von einem Magneten angezogen Lenin. Da steht er in der Sonne und lässt sich immer noch bewundern. Gerade jetzt fährt unser ZEIT-Bus zufällig vorbei. Ich winke und rudere aufmerksamkeitsheischend mit meinen Armen in der Gegend herum, um alle zu grüßen, aber meine Kollegen haben nur Augen für ihn, den großen Lenin hinter mir. In solchen Augenblicken mache ich mir in mich hineinlächelnd immer wieder die Absurdität des Moments bewusst: da stehe ich nun an einem frühen Samstagmorgen inmitten einer Millionenstadt in der absoluten Fremde und bin unsichtbar für meine Mitreisenden, die gebannt den wehenden Mantel eines Volkshelden fotografieren.

Genüßlich unterquere ich die breite Hauptstraße und lande an einem Springbrunnen, der von fröhlich tollenden Kindern belagert ist. Ein Brautpaar mit Eltern und Freunden spaziert vorbei. Irgendwie kommen wir ins Gespräch; flugs drückt mir der Bräutigam ein gefülltes Sektglas in die Hand und schon bin ich mittendrin im Feiertrubel. Herzlich geht es zu, dann löst sich alles wie inszentiert in Wohlgefallen auf und ich sitze fast eine weitere Stunde dort und beobachte die Menschen. Von Hektik keine Spur, weder bei mir noch bei ihnen.

Jetzt möchte ich das sibirische Staatsmuseum besuchen, welches auf verschiedenen Etagen die Geschichte der sibirischen Bevölkerung bis in die 60er Jahre hinein präsentiert, aber auch in einer aktuellen Ausstellung neuere Ikonen zeigt, die mit sehr unterschiedlichen Materialien auf höchstem Niveau gearbeitet sind.

Stunde über Stunde vertiefe ich mich in Birkenkörbe, Schamanentrommeln, Schneemasken, Kinderspielzeuge, Perlen (ab dem 5. Jahrhundert), alte Radios bis hin zu den verschimmelten, aber irgendwie konservierten Brotscheiben und Brötchen aus den 60er Jahren. Sehr fasziniert von allem fällt es mir schwer zu gehen, aber die Sonne lockt mich schließlich nach draußen.

Irgendwann begegne ich Ursel, die mich fragt, ob ich Lust auf eine Massage hätte. Wie sich herausstellt, hat Heiner gekniffen und sich zu einem Nickerchen zurückgezogen, also ist ein Platz frei.

Begeistert stimme ich zu und mit Yoko im Gepäck öffnen wir die mächtigen Tore des Massagetempels. Erschlagen starren wir auf die prächtigen Wände, die uns so plötzlich umgeben. Wenn ich das früher gewusst hätte, wäre ich schon längst hier gelandet. Oder vielleicht doch nicht? Als mich jetzt meine Masseurin, die, so vermute ich, noch nie gelächelt hat, zwischen ihre Hände nimmt, vergehen mir Hören und Sehen. Gequält stöhne ich hin und wieder auf, weil meine Muskulatur das kaum noch erträgt und ihre stahlharten Finger sich immer tiefer ins Gewebe bohren, aber sie interpretiert das wohl eher als Zustimmung. Manchmal wirft sie wie zur Bekräftigung unvermutet und laut einzelne russische Worte in den Raum. Wahrscheinlich war sie einmal Kyokushinkai-Kämpferin oder so etwas. Jedenfalls setzt sie ihre Ehre dafür ein, bis zur letzten Minute alles zu geben. Sie lässt mir auch fast keine Stelle meines Körpers unversehrt. Würde sie mir jetzt die Haut abziehen, würde ich es nicht einmal merken.

Erschlagen, aber seltsamerweise doch irgendwie schwebend und wohlig durchblutet lassen wir uns mit dem Taxi zu einem georgischen Restaurant fahren, welches uns Heiner als Geheimtip ans Herz gelegt hat. In kleiner, aber feiner Runde beenden wir diesen denkwürdigen schönen Tag. Unser russischer Taxi-Fahrer erkennt uns sofort als Deutsche: "Ahhh, Cheil Chitler!" Findet er wohl sehrrrrr lustig...

Ach ja, in der Hotellobby des Hilton, mitten in Sibirien, liegt neben vielen russischen eine chinesische Zeitung auf dem Tisch aus. Darauf prangt das lächelnde Abbild von Merkel und Seehofer. Absurdität des Moments.


Tag 32

5. August 2018

 

656 km liegen vor uns, die längste Einzelstrecke auf unserer Reise. Mir schmerzen noch die Glieder von meiner gestrigen Massage. Große Augen und Gelächter sind das Ergebnis, als ich meine blauen Flecken an Armen und Beinen vorzeige.

 

Wir fahren nun durch das mittelsibirische Tiefland. Gleiboden verhindert, dass Wasser nach unten abfließt, wodurch Feuchtbiotope entstehen und dadurch Meere an Rohrkolben den Weg säumen. Die Gegend ist reich an Insekten, Fischen, Lurchen und Wasservögeln wie Reiher, Blesshühner und Haubentaucher, die immer wieder wie aus dem Nichts auffliegen.

 

Die wilde Gerste, die Grundform unserer kultivierten Gerste ist hier ebenfalls heimisch und weit verbreitet. Ihre langen Grannen hinterlassen einen sehr duftigen leichten Eindruck in den bunten Wiesen. Queller als Salzanzeiger (Halophyten) überziehen weite Flächen in feinem Rot.

 

Michael Thumann stellt sich als neuer ZEIT-Experte vor. Voller Spannung folgen wir seinen kurzweiligen Ausführungen über Putins Politik und die verzwickten außen- und innenpolitischen Entwicklungen seit dessen Machtantritt. Alleine diese 2 Stunden, die von Fragen gespickt sind, machen neugierig auf den morgigen Vortrag.

 

Blau-weißer Himmel, angenehme Temperaturen und dennoch kuscheln wir uns in alle Jacken und Decken, die vorhanden sind. Niemand kann sich vorstellen, wie heiß es momentan in der Heimat ist. Hier wird eher gehustet, geschnupft, geniest und gute Tipps weiterverteilt.

Wie so oft schon fahren wir mit gutem Gefühl in unsere Zielstadt ein. Ruven hat mal wieder ganze Arbeit geleistet. Der Rucksack ist schon gepackt und - im letzten Moment stoppt der Bus mitten auf der Straße. Die vor uns liegende Brücke lässt nur eine Gesamthöhe von 3,1 m zu. Verdammt. Da passen wir nicht hindurch. Das bedeutet, dass wir umkehren und uns eine neue Route suchen müssen. Manchmal kann das richtig lange dauern, aber heute schaffen wir es in einer vernünftigen Zeit. 656 km sind gemeistert! Vor unserem Hotel fließt träge der Irtysch vorbei, von meiner Panorama-Fensterfront wunderbar zu verfolgen.

 

 Der Abend endet beim Abendessen.  Zum ersten Mal esse ich Stör. Wer gluckt mal wieder zusammen? Hanne, Yoko und ich. Dann sucht Michael Thumann noch ein Plätzle und findet es bei uns. Bei georgischem Wein dreht sich nun nicht alles nur um Putin, Gorbatschow, Schmidt, die Gräfin oder Maas, nein, da gibt es noch vieles mehr, worüber man sich köstlich amüsieren kann. Am Ende sitzt unser Tisch als letztes da und lacht und lacht und lacht...


Tag 33

6. August 2018

 

"Die russische Seele ist wie eine Birke: schwarz und weiß."

Das sind die Worte unseres leidenschaftlichen Local-Guide, der uns mit Verve, aber auch einer gewissen Schwermut durch seine Stadt führt. Neben netten Anekdoten und kleinen Geschichten kommen immer wieder die "traurigen" und tragischen Dinge zu Wort, von denen es in Omsk wohl eine Menge gegeben hat - man denke nur an Dostojewski, der hier 4 Jahre in Verbannung leben musste und danach bekannte, dass er sich erst nach dieser schwersten Zeit seines Lebens zu dem Schriftsteller entwickeln konnte, der er eben wurde.

Auf unserem Spaziergang durch Omsk werde ich häufig als deutsche Reisende erkannt und lächelnd in meiner Sprache angesprochen. Wir fallen schon so ein bisschen auf, als wir ohne Kopfbedeckung eine der schönsten Kirchen Russlands betreten. Mitten im historischen Zentrum liegend, erstrahlt die goldene Kuppel der Nikolaus-Kathedrale, die beim ansonsten originalgetreuen Wiederaufbau des Gebäudes als zusätzliches Goodie obenauf gesetzt wurde, weit hinaus bis an die entfernteren Randgebiete der Stadt sichtbar.

Es strömen überraschend viele Menschen hinein. Schon vor dem Haupteingang berührt so manches Mütterchen gebeugt und sich ehrfürchtig bekreuzigend mit ihren Fingerspitzen die Treppenstufen. Aber es sind nicht nur alte Frauen mit ihren gehäkelten Kopfbedeckungen, die hier beten, sondern auch einzelne Männer, junge Familien oder die jungen Damen, die sich plötzlich hinter einem Pfeiler aufbauen und vierstimmig Kirchengesänge anstimmen. Oh, da rieselt eine Gänsehaut über den ganzen Körper. Da sind sie, die Momente, die den ganzen Tag dauerhaft verschönern. Da die meisten von uns an den Lippen unseres beredten Guides hängen, haben sie das gar nicht mitbekommen und sind auf dem Weg nach draußen in Windeseile an den goldüberfrachteten Ikonen vorbeigerauscht, die von den besten Ikonenmalern des ganzen Landes gefertigt wurden. Offenbar hat der Wiederaufbau dieses Prachtbaus Unmengen an Rubel verschlungen. Ich glaube, unser Guide findet es auch ein wenig „traurig“, dass man nicht mehr abgewogen und vielleicht eher an den Bau von Kindergärten gedacht hat.

 

Wie überall auf der Welt scheiden sich auch hier die Geister, wenn die Gelder nur eingeschränkt fließen. Wo wird investiert? Wo sind die Grenzen zwischen Kultur und Bildung? Was überdauert? Was ist Zukunft?

 

Wir haben das Glück, dass uns der orthodoxe Priester erlaubt, einen Blick hinter den Sarg des Heiligen Nikolaus zu werfen. Er erlaubt es nicht nur, er lädt uns mit einer großzügigen Geste und mit einem stolzen „Guten Tag“ dazu ein. Damit enden seine Deutschkenntnisse. Es ist ein großes Taufbecken vorbereitet, welches gleich darauf von einer sehr ernst wirkenden Familie aufgesucht wird, um die etwa 8-jährige Tochter taufen zu lassen. Ich erlebe eine Mischung von tiefer Gläubigkeit und gleichzeitiger Trivialität, denn ständig wirbelt die Putzfrau um uns alle herum, vertieft sich in längere Gespräche mit dem Priester, poliert hie und da ein Holzstück, sammelt Papiere vom Pult oder streichelt dem fremden Mädchen liebevoll mit ihren Gummihandschuhen über die Haare. Ihre Wichtigkeit ist unübersehbar. Wir müssen die Zeremonie aber nun verlassen. Ein letztes Mal werfen wir einen Blick auf die wunderschönen kostbaren Ikonen und die tiefgläubigen Menschen, die links vom Hauptsaal Kerzen für ihre Verstorbenen anzünden und rechts Kerzen für ihre Wünsche und Hoffnungen. Alleine die Berührung des Bilderrahmens gibt Zuversicht.

 

Unser Hotel wurde an einer historischen Stätte aufgebaut und ruht auf den Ruinen des militärischen Stützpunktes, der einst hier am Zusammenfluss der beiden Flüsse Om und Irtysch errichtet wurde. Ich möchte mir diese Schnittstelle im Wasser genauer anschauen und wandere am Ufer des Om entlang. Am heutigen Sonntag findet dort im Rahmen des gestern gefeierten 302. Jahrestages der Gründung der Stadt Omsk ein großer Jahrmarkt statt und ich will wissen, wie das hier gefeiert wird. Es sind viele Familien unterwegs und mir scheint, als wären die Kinder von früh auf darauf trainiert, für all die aufblitzenden Handys zu posieren. Der Park ist dafür prädestiniert, denn überall können sie die Köpfe hindurchstecken und sich ablichten lassen. Trauben von Menschen finden das alles sehr schön. Andere lassen sich von den Schaschlikspießen verführen oder filmen ihre Kinder beim Herabrutschen von riesigen Plastikelementen. Es ist hier wie wahrscheinlich überall auf der Welt; nur vielleicht eine Spur kitschiger. Es schließt sich ein kleiner Bauernmarkt an, auf dem Profis und Nichtprofis ihre Ware anbieten, vor allem selbstgezogene Grünpflanzen in Becherchen und Tüten. Mühsam wird hier jeder Rubel erarbeitet.

Bei einem opulenten Abendessen haben wir zwischen den Gängen Michael als Vortragenden zu Gast, desweiteren zwei Vertreter des Deutschen Hauses Omsk. Die Erfahrung zeigt auch hier wieder: wenn der Mensch vor die Wahl gestellt ist, seine niederen Instinkte zu befriedigen oder sich geistig zu fordern darf man nie davon ausgehen, dass er Zweites bevorzugt. Während sich die Vortragenden also mühen, uns mit ihren Themen vertraut zu machen, auf die sie sich wahrlich vorbereitet haben, steigert sich das Geklapper von Messern und Gabeln. Aber auch ich muss gestehen, dass mir vieles entgeht - allerdings aus Ärger über diese Situation. Ein Wohl auf die Gelassenheit!


 Tag 34

7. August 2018

 

Wir verlassen Omsk, die für mich laute, aber sehr freundliche Stadt, die weniger im öffentlichen Bewusstsein, ja eher im Schatten der großen „Nachbarstadt“ Novosibirsk steht.

 

Es folgen weitere 635 km bis Tjumen.

 

Vorbeirauschende Wiesen mit getreideähnlichen Gräsern (Süßgraser), Arnika, falscher Kamille oder Wiesenschaumkraut werden extensiv genutzt und liegen nun getrocknet auf große Ballen aufgerollt oder zu großen Garben angehäufelt für das heimische Vieh zur Abholung bereit. Der hiesige Herbst beginnt, die Ernte wird langsam eingefahren. Nach wie vor wechseln sich die Wiesen- und Feuchtgebiete kurzweilig mit den hellen Birkenwäldchen ab. Manchmal allerdings ragen die Stämme schlohweiß in weitflächigen Bereichen gespenstisch gen Himmel auf, ohne Laub. Laut Wolfgang waren die Birkenspanner am Werk. Bei uns würde man ganze Wälder abholzen, um dieser Zerstörung Einhalt zu gebieten. Hier jedoch spielen diese im Gesamtverhältnis kleinen Flächen keine bedeutende Rolle. Die Stämme werden zerfallen und als Nahrung für Kleinstlebewesen dienen – ein neuer Kreislauf in den Zyklen des Lebens beginnt.

 

Je weiter wir gen Westen kommen, desto mehr verändern sich die Ortschaften. Die Häuser werden größer, stabiler, moderner, die Fensterverzierungen fallen öfter weg. Doch immer noch sind es gute 3000 km bis zur Hauptstadt Moskau. Mal sehen, wie deutlich die Veränderungen noch sein werden.

 

Während sich am Horizont eine Ambosswolkenformation aufbaut, beginnt unser wichtigster Vortragsnachmittag mit Michael Thumann. Thema: Putin.

 

Wir erhalten Einblicke in das persönliche und politische „System Putin“  mit all seinen Facetten und Konsequenzen.

 

Grandios, mit welcher diplomatischer Ausgewogenheit, welchem detaillierten Kenntnisreichtum, welchem kritischen Sachverstand und welcher angenehmer rhetorischer Eloquenz uns Michael bereichert. Seine klaren Argumentationsketten erleichtern das Zuhören und werfen dennoch neue Fragen auf, die aus dem Bus immer wieder nach vorne getragen und sogleich in aller Ausführlichkeit beantwortet werden. Der ungewöhnlich laute Applaus zum Abschluss zeugt von der allgemeinen Begeisterung. Danke, Michael!

 

Fast unbemerkt sind wir in die Amboss-Gewitterfront vor uns geraten. Donner, Blitz und Hagel gehen auf uns hernieder, kurz, heftig, schmerzlos. Danach wieder Sonnenschein und blauer Himmel mit Schäfchenwolken.

 

Als ich nach einem Schläfchen im Bus die Augen öffne, dehnen sich seitlich plötzlich riesige Getreideflächen, Raps- und Maisflächen aus. Ostdeutschland? Ukraine? Schade, denke ich. Dieses Bild bleibt tatsächlich über Stunden hinweg bestehen, aber irgendwann erfreuen sich meine Augen wieder am gewohnten Anblick von Birken, Lärchen und Kiefern.

 

Gegen 20 Uhr ist es dann geschafft. Eine schöne moderne Stadt mit Moskauer Flair (so sagt man mir – dies kann ich ja noch nicht beurteilen) erwartet uns mit einem sehr schönen Hotel, sehr internationalem köstlichem Abendessen und einer müden, aber netten Gesellschaft von Yoko, Hanne und Michael, später Ursel und Heiner. Gambej!


Tag 35

8. August 2018

 

Heute habe ich ein kleines „Schade“ auf den Lippen. Schade, dass wir nicht noch einen Tag hier in Tjumen bleiben können. Schade, dass wir diese vielversprechende Stadt nicht mehr weiter erkunden dürfen. Ich weiß, wir müssen weiter, aber der Blick in die Straßen links und rechts macht neugierig auf mehr. Gut, dass die Strecke diesmal überschaubar kurz ist: 330 km. Für unsere Verhältnisse absolut ok.

 

Ein letztes Mal genießen wir die Ausführungen unseres ZEIT-Experten Michael. Der Vormittag ist ausgefüllt mit den verworrenen Geschehnissen um die grausame Ermordung der Zarenfamilie durch die Bolschewiki 1918, die in Jekaterinburg passierte. Spannend die Zusammenhänge und eine perfekte Vorbereitung auf den morgigen Tag, wo wir die Stadt näher kennenlernen werden.

 

Recht früh checken wir ein. Diesmal nutze ich die Gelegenheit, ein paar Dinge online aufzuarbeiten, mich auch mal hinzulegen und die Zeit einfach davonfließen zu lassen. Nach dem Abendessen tummeln sich plötzlich alle aufgeregt diskutierend in der Lobby. Seit Tagen schwirrt der Wunsch durch den Raum, Schwanensee im Mariinskiy-Theater in St. Petersburg zu erleben. Und nun wird dieser Wunsch in die erste Tat umgesetzt. Offensichtlich ist es schwierig, an die Karten zu kommen. Unsere Agentur schafft es nicht, also erklärt sich eine junge Rezeptionistin hier im Hause privat bereit, uns die Karten persönlich zu besorgen. In einem komplizierten Procedere schaffft sie es, alle zufrieden zu stellen. Tatsächlich hält jeder am Ende seine Karte in Händen. Großartig dieses Engagement!

Eine kleine Runde bleibt zu einem letzten Umtrunk an der Lobbybar zurück...


Tag 36

9. August 2018

 

Jemand fragte mich gestern, ob es in Sibirien denn nicht mehr so schön und abwechslungsreich wäre wie zu Beginn der Reise – meine Fotos seien nicht mehr so bunt und vielfältig.

 

Da blieb mir zuerst die Spucke weg, aber dann sprudelte ich los und verteidigte dieses Land mit wärmsten Worten. Ja, es gibt keine farbig bemalten Tempel mehr, keine exotischen Weihrauchgefäße, keine mandelförmigen Kinderaugen, undefinierbar spannende Abendessen, bei denen man nie weiß, was einen an hervorragenden Köstlichkeiten erwartet, auch keine Touristen anlockenden Rikschafahrer mehr oder gar Xiangqi spielende Frauen und Männer im Park. Nein, hier wird man stiller, hier muss man sich auf die Details konzentrieren - oder auf das große Ganze. In Sibirien ändert sich der Seins-Zustand und darauf muss man sich einlassen. In China flatterte man wie ein Schmetterling tanzend von Blüte zu Blüte, hier gleitet man wie ein Adler gelassen durch die Lüfte, um nur hin und wieder, auf den Punkt genau, eine Rast einzulegen.

 

Das heutige Ziel ist so eine punktgenaue Landung. Wir wollen die „Allerheiligenkirche auf dem Blut“ sehen, an deren Stelle vor fast auf den Tag genau 100 Jahren die Zarenfamilie hingerichtet wurde. Der Himmel hat sich bereits verdunkelt, ich bin zu dünn angezogen. Die Stimmung ist entsprechend gedrückt. Wir wissen, dass hier bis 1977 das sogenannte Ipatjew-Haus stand, in dem der entmachtete Nikolaus II., seine Frau Zarin Alexandra, die 5 Kinder und engste Bedienstete zuletzt monatelang gefangen gehalten und dann von erbitterten Bolschewiken im Keller hingerichtet wurden. Boris Jelzin, der damals als Bauingenieur in Jekaterinburg wirkte, zeichnete sich für den Abriss verantwortlich. Um die dann neu errichtete russisch-orthodoxe Kathedrale (2003) herum hängen großformatige Fotos und Bilder der Zarenfamilie. Die Kirche ist in eine dunkel gehaltene Unterkirche (symbolisiert die Vergangenheit) und eine sehr helle, hohe Oberkirche (Zukunft) geteilt. Ich fühle mich erschlagen von dem goldenen Prunk, der immense Kosten verursacht haben muss, der gleichzeitigen künstlerischen Vollkommenheit (zumindest teilweise) und dann aber auch dem Kult, den man um die Familie betreibt. Mittlerweile sind alle Mitglieder zu Heiligen, zu Märtyrern „erhoben“ worden und werden in kostbaren Ikonen mit Heiligenschein dargestellt. Pilger bekreuzigen sich davor. Man spürt die tiefe Verehrung. Ich kann es nicht anders ausdrücken, ich muss mich abwenden und diesen Ort verlassen. Ich verlasse auch den Bus, denn ein Automuseum möchte ich jetzt sicher nicht besichtigen. Es hat sich für mich bewährt, alleine loszuziehen und die Städte für mich zu erobern. Sicher verpasse ich nun den Ort, wo man die Gedenkstelen am Ural besucht, wo der eine Fuß auf Asien und der andere auf Europa gesetzt werden kann, aber das habe ich bereits im letzten Jahr in Atyrau erlebt und ausgekostet. Also ziehe ich mit Bettina los. Irgendwann trennen sich jedoch unsere Wege.

 

Nach einigen Fotostopps ziehe ich mich immer häufiger unter schützende Vordächer zurück. Dies soll der Beginn einer Verbindung mit der Natur werden, die ich mir heute sicher ganz anders vorgestellt habe; der Himmel öffnet sich und setzt schlagartig die Straßen unter Wasser. Mein Weg zurück ist noch weit und ich bin schließlich völlig durchtränkt von all dem Nass. Eigentlich sollte ich meine Schuhe ausziehen, da mehr Regen darinnen ist als außerhalb, aber ich friere so sehr, dass ich durchhalte, bis das Hotel endlich auftaucht. Jetzt hilft nur noch ein wärmendes Bad mit Melissen-Essenz, hmmm.

Ursel ergreift die Initiative und bringt uns "Schwesterchen" zu einem ganz ausgezeichneten Georgier, wo wir einen fröhlichen Abend erleben. Heiner kann es gar nicht fassen; sogar die Zwiebeln sind handgestreichelt und schmecken so gut wie noch nie in seinem Leben. Der Tag ist  ein bisschen gerettet worden...


Tag 37

10. August 2018

 

Jekaterinburg darf nun verlassen werden. Für mich ist die Stadt erst einmal „abgearbeitet“. Lasst uns nun nach vorne schauen. Wir verlassen heute Asien und fahren unspektakulär in Europa ein. Eigentlich wollte Wolfgang diesen Übertritt schon gestern mit unserem blauen ZEIT-Banner und unseren blauen T-Shirts bei blauem Himmel per Foto für die Ewigkeit festhalten. Das Wetter hat ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht, die Fahrt zum Obelisken wurde abgesagt.

 

Mitten im Ural behindern seitlich plötzlich mindestens 100 m hohe tiefschwarze langgezogene Hügel aus feinstem Steingemisch unsere Sicht. Sie wachsen gefährlich nahe bis an die Straße heran. Das wirkt bedrohlich, da keine Schutzabsperrung ein Abrutschen verhindern würde. Stark zerfallende Holzhütten an der Straße zeugen von großer Armut. Nun wechseln sich giftorangefarbene, schwefelhaltige Bäche bzw. Abflüsse in der kahlen rötlich-gelben Umgebung mit den schwarzen Anhäufelungen ab, weit und breit gedeiht kein Pflänzlein mehr - bis wir eine dampfende Fabrikanlage bzw. ein Kraftwerk entdecken. Wolfgang weiß sofort, worum es sich handelt: hier finden Kohlevergasung und Erzabbau statt. Vom Schutz der Umwelt keine Spur. Unruhe breitet sich im Bus aus, aber schon geht es weiter durch die scheinbar unberührte Natur des Uralgebirges. Nach wie vor Birkenwälder, aber nun auch Hügellandschaft vom Feinsten. Die Ebene ist erst einmal passé.

 

Heute ist es gut, mich nicht anzusprechen. Irgendwie habe ich den Reise-„Blues“. Vielleicht liegt es am bedeckten Himmel, an den vielen Stunden Fahrt, am gestrigen Tag oder an Larissas Lieblingsbeschäftigung, uns Zahlen überzustülpen, bis wir nicht mehr wissen, ob es in Ufa 1859 30 Lebensmittelläden gab oder im Jahre 1951 7 Schulen mit 112 Lehrer auf einem Gesamtgebiet von 23.529,3 Quadratkilometern (bitte nicht nachprüfen; das waren alles meine Fantasiezahlen) – oder umgekehrt - oder so ähnlich?

Egal, es ist wie es ist. Ich entschuldige mich bei den anderen und ziehe mir in meinem riesigen Zimmer die riesige Decke über den Kopf.


Tag 38

11. August 2018

Danke - für all die aufbauenden Worte, die mir ringsum entgegenkamen! Die Welt ist wieder in Ordnung.

Klar, auch heute müssen wieder über 500 km gemeistert werden, aber das Gruppengesamtfeeling ist gut. Die Stimmung wunderbar. Karl kommt auf die Idee, "alten" chinesischen Schnaps zu reichen und Wolfgang tut sein Übriges dazu, da er ja den Übergang nach Europa nachfeiern möchte und schenkt nach. Also, mit Alkohol möchte ich ja grundsätzlich rein gar nichts zu tun haben, aber Markus im Sitz vor mir meint, dass das überhaupt nicht ginge. Ich bin kein Grupenmuffel und ordne mich unter. Ungerne, wie man weiß.

Heute müssen wir die Uhr 2 Stunden zurückdrehen und sind nun in der Moskauer Zeit angelangt. Zwei volle Stunden gewonnen! Wie nutzen das schlaue Zeit-Reisende`? Indem sie sie auskosten. Unser Hotel in Kasan steht direkt an der zauberhaft beleuchteten Moschee (kitschig, sagen die einen), die zu den schönsten des Landes gehört. Von meinem Fenster aus ist sie etwas versteckt, also besuchen wir sie schon vorab, um uns einen Eindruck zu verschaffen. Natürlich wird nun ein Feuerwerk entzündet. Ehre, wem Ehre gebührt.

Übrigens, heute hat mir Enkhjargal Dandarvaanchig (Epi) geschrieben. Er meinte sehr lieb, dass er sich beim Lesen meines Blogs in seine Heimat zurückversetzt gefühlt hätte - aber eines würde in meinen Beschreibungen nicht stimmen: ich hätte auf meinem Kopf (siehe Tag 19, 23. Juli 2018) keine Murmeltier-Mütze sitzen, sondern eine Fuchsfellmütze - da haben mir die mongolischen Händler wohl einen ausgewachsenen Bären aufgebunden! Danke für deine herzlichen Worte, Epi!!


Tag 39

12. August 2018

Heute ist ein Tag, der eigentlich das Aufnahmevermögen sprengt.


Tag 40

13. August 2018

 

Unaufhaltsam rollen wir auf Moskau zu – nur noch eine Stadt liegt dazwischen: Nischni Novgorod.

Wenn wir es nicht wüssten, dann würden wir es ahnen, dass wir uns deutlich dem uns vertrauten Westen nähern. Landwirtschaft und Industriegebiete nehmen zu, der Verkehr wächst, Dörfer und Städte präsentieren ihren Wohlstand, vorbeieilende Menschen wirken zielstrebiger und auch verschlossener.

Dennoch genießen wir die Fahrt. Martin läßt Dschingis Khan fließen, da er heute Geburtstag hat. Johannes Vosswinkel, unser heutiger neuer ZEIT-Experte lobt diese Voraussicht - im anderen Bus hätte er nur Wasser angeboten bekommen.

Johannes ist ein ehemaliger ZEIT-Mitarbeiter und mir vertrauter Experte aus dem letzten Jahr. Die, die ihn noch nicht kannten sind überrascht, mit welcher Energie und Freude er die kommenden vier Stunden mit seinen Berichten aus Leben und Arbeit gestaltet - nachdem er diese Leistung bereits im anderen Bus unter Beweis gestellt hat. Mein Notizbüchlein hat nur noch erschreckend wenige freie Seiten, als er nach dieser Zeitspanne ohne Pause einzulegen endet. Eindrücklich bleiben mir, neben den hochspannenden politischen Fakten, wie ihn und seine Familie das russische Leben gefangen hält, über viele Jahre hinweg. Als Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung ist er natürlich sehr nahe dran, aber auch die Einblicke in das Moskauer Privatleben erhellen unser Noch-Nicht- bzw. Wenig-Wissen.

 


Tag 41

14. August 2018

Bereits vor Wochen fragte ich bei einer Perlenfreundin auf Facebook nach, ob sie Lust auf einen Schnack bei Kaffee oder Tee in Nischni Novgorod hätte; der Ankunftstag war bekannt, die Zusage kam prompt. Wir waren uns noch nie begegnet, aber ich mag diese Art von Überraschungen sehr und so harrte ich der Dinge, die da auf mich zukommen würden.

Heute dann der Tag, auf den ich mich schon so lange freute!

Gegen 10 Uhr stehen bereits die Gruppen Shanghai und Hamburg vor dem Hotel und warten auf ihre Stadtrundfahrt mit ihren russischsprachigen (!) lokalen Guides. Da blinkt es auf dem Parkplatz, Türen öffnen sich und 2 winkende Ladies steigen aus einem roten Subaru Forester. Hanne und ich werden herzlichst begrüßt und in den Wagen verfrachtet. Als ob wir uns schon lange kennen, plappern Anna, Maria, Hanne und ich drauflos. Es ist ein wirres Gemisch aus Deutsch, Englisch und Russisch und jeder kann von jedem ein bisschen. Am Schluss verstehen wir tatsächlich alles oder glauben es zumindest.

Bald lernen wir Olga kennen, unsere Friseuse. Ich hatte Anna gebeten, uns dies zu ermöglichen und so sitzen wir nun im VIP-Zimmer der Russin und lassen uns die Haare richten. Nach all den Wochen unterwegs musste mal wieder ein wenig Fasson hineingebracht werden. Da sitzen wir nun, wir fünf Fremde und haben richtig Spaß!

Anna und Maria entführen uns nun in ihre Stadt. Wir bekommen das volle Programm - und mehr. Erstaunt stelle ich fest, wie kundig wir über Alter von Kirchen, Gründungsdetails der Stadt, interne Verwaltungsgeschichten usw. aufgeklärt werden. Alles findet zum Großteil im stark renovierten Kreml-Bereich statt, von dessen erhabener Lage wir weit über die Stadt und auf den Zusammenfluss von Wolga und Oka blicken können. Wir sehen das neu erbaute Fußballstadion der diesjährigen WM, welches in seiner architektonischen Leichtigkeit gut in das Stadtbild eingepasst ist und von goldenen Zwiebeltürmen umringt wird. Unser Weg führt nach unten in die Altstadt, wo wir in altrussischem Plüsch-Ambiente im Gasthaus Pjatkin klassisch russisch essen und zum 1. Mal auch Kvass kosten können. Knoblauch zum Knabbern oder Einbröseln in die Borschtsch-Suppe steht griffbereit auf dem Tisch.

Immer noch locker plaudernd laufen wir nur wenige Schritte zum Perlen-Studio der beiden. In einem dunklen Hinterhof glauben wir, jetzt irgendeine versteckte Bruchbude zu finden, aber tatsächlich sind dort kleine Werkstätten im Aufbau, wo getanzt und Handwerk ausgeübt wird. Als sich die Tür öffnet, sind wir vollkommen überrascht: die Nischni Novgoroder Perlenszene hat sich dort versammelt und begrüßt uns aufs Herzlichste! Seit Wochen wissen alle über meinen Besuchswunsch Bescheid und haben sich mit Kuchen, Pies, Säften, Tee, Kvass und Kaffee auf uns vorbereitet. Kaum jemand spricht Englisch und doch wird ständig radebrechend geplaudert und gelacht. Yoko ist in der Zwischenzeit dazugestoßen und so binden wir uns Schürzen um und setzen uns Schutzbrillen auf die Nasen. Wir dürfen einen Kurz-Workshop machen und kreieren eine kleine Glasperle. Nun laden uns die Mädels dazu ein, mit der Seilbahn die Wolga zu überqueren. 3600m schweben wir nun quiekend bis in die gegenüberliegende Stadt Bor, essen Eis, markieren uns auf der dort aushängenden Weltkarte und gondeln wieder zurück. Nach einem Spaziergang durch eine schöne Fußgängerzone trennen sich unsere Wege nach einer innigen Verabschiedung. Das nenn ich Gastfreundschaft! Das nenn ich Herzlichkeit!

 


Tag 42

15. August 2018

Endlich! Nach einer gefühlten Ewigkeit auf rumpelnden Straßen voller Verkehr und stundenlangen Staus auf 12-spurigen Straßen rollen wir nachts in Moskau ein. Markus ist geschafft, aber immer gut drauf und voll konzentriert bei der Sache. Die Fahrer wissen, dass diese Nacht für sie noch lange kein Ende hat, denn sie dürfen nicht im Innenbereich der verkehrsüberlasteten Stadt verbleiben. Sie müssen ca. 20km außerhalb parken, mit der Metro zurückfahren und dürfen erst dann endlich in ihre Betten fallen.

Auch wir sehnen unsere Gemächer herbei. Erst jedoch müssen wir an den vier muskelbepackten Männern in schwarzen Anzügen vorbei, die die Lobby rund um die Uhr bewachen. Nicht nur das lässt mich an Sowjetzeiten zurückdenken. Die gesamte Hotelausstattung unseres Hauses im typischen Zuckerbäckerstil wirkt wie aus kommunistischen Filmen herausgeschält und ist eher bedrückend. Egal, vor Müdigkeit wäre ich fast eingeschlafen - wüsste ich nicht, dass gleich, ja gleich Manfred vom Flughafen nach 2-wöchiger Abwesenheit wieder bei uns eintreffen würde. Gleich!


Tag 43

16. August 2018

Jetzt ist er wieder da! Manfred ist gegen 12.30 Uhr angekommen und ich kann ihn nur mühsam an unseren Muskelmännern vorbeischleusen. Sie wollen ihn erst mal nicht so richtig eintreten lassen. Am Ende aber ist es geschafft!

Jetzt kann auch unser freier Tag in Moskau starten!


Tag 44

17. August 2018

 

Der Tag ist heute in vielerlei Hinsicht und aus verschiedenen Gründen mehrfach geteilt, also beschließen Hanne und ich, diesen Blog-Tag gemeinsam zu beschreiben.

 

Hanne, der erste Schreiberling:

 

Moskau begrüßt uns mit herrlichem Sonnenschein und wir starten um 9 Uhr fröhlich zur Besichtigung der Stadt.

Unser erster Weg führt uns vorbei an der Basilius-Kathedrale – von mir von allen Seiten fotografiert – ins Kaufhaus Gum. Dieses wurde 1893 als Markthalle errichtet und beherbergt heute alles großen Marken der Welt. Man flaniert unter einem riesigen Glasdach und bewundert Luxus und außergewöhnliche Dinge (z.B. Schuhe mit Matrioschka-Absätzen von Dolce und Gabbana). Ein Springbrunnen mit riesigen Melonen im Wasserbecken sorgt für frische Luft und Erstaunen. Aus einem Seitenausgang verlassen wir das Haus und erhaschen über den roten Platz hinweg einen Blick auf das Denkmal/Mausoleum Lenins. Den Platz können wir in seiner gesamten Größe nicht ermessen – er ist für ein Festival gesperrt – man hat Tribünen aufgebaut.

Die lange Schlange vor dem Kreml löst sich und wir betreten das große Areal der Festung, sehen den Regierungssitz und kommen staunend auf den Kathedralenplatz – goldene Kuppeln, Sicht auf den Regierungspalast und die Maria-Himmelfahrt-Kathedrale. Diese besichtigen wir und bewundern die herrlichen Fresken und stellen uns vor, ein Zar wird gekrönt und hören in Gedanken die festlichen Gebete und feierlichen Zeremonien.

Nach dem Mittagessen gibt es für einen Teil der Gruppe eine erholsame sonnige Fahrt mit dem Schiff auf der Moskwa.

 

Der zweite Schreiberling Claudia erlebt auf dem Kreml folgendes:

 

Als wir die lange Schlange von Menschen sehen, die in den Kreml hinein will, wissen Manfred und ich sofort, dass wir uns bei diesem Wetter und der verheißungsvollen Vielfalt dessen, was in dieser Stadt noch auf uns wartet, unsere kostbare Zeit nicht hier „vergeuden“ wollen. Also setzen wir uns in einen offenen Doppeldecker-Bus und lassen uns auf eine Sightseeing-Tour mit deutschen Erklärungen ein. Uns ist klar, dass auch das Kreml-Innere ein Muss ist, aber vielleicht ist es auch das zeitweilige Entfliehen von den Menschenmassen der Ursprung unseres Wunsches, alleine loszuziehen. Und es lohnt sich! Die Sonne verwöhnt uns an Deck, wir sehen Dinge, die uns bisher neu waren und steigen aus, wo es uns gefällt. Nahe am Bolschoi-Theater besuchen wir das Zum, ein Luxuskaufhaus, in dem ein einfaches, goldbesticktes Jäckchen von Prada für schlappe 10.000 Euro zu haben ist (wenigstens fachmännisch abgetastet habe ich es kurz), entdecken einen kleinen Mittelalter-Markt, wo langbärtige, pelzbedeckte, hohläugige Männer aus der Zeitmaschine entsprungen zu sein scheinen, schlendern durch eine unspektakuläre Fußgängerzone und finden spontan einen Barbier, der Manfred mal eben einen russischen Haarschnitt verpasst.

 

Wir sind unabhängig von der Gruppe, also können wir unabhängig entscheiden, uns vor der von Thomas aus der Gruppe Shanghai individuell organisierten abendlichen Tanzveranstaltung noch schnell ein Stündchen Ruhe im Hotel zu gönnen. Manchmal ist so ein Tag ja doch recht erschöpfend. Erfrischt machen wir uns am Abend dann auf den Weg und ordern ein Taxi zum Theater.

 

Ein kleines Trinkgeld für das Herbeirufen des Gefährts lässt das gestrenge Gesicht des uniformierten Hotelangestellten schmelzen und seitdem haben wir einen weichherzigen Freund, der uns später seine Lebensgeschichte erzählt (unter Stalin Verbannung der Familie nach Sibirien, unter Gorbatschow Auswanderung nach Deutschland etc.) und uns immer und immer wieder bei jeder Begegnung ein herzliches "Willkommen in Moskau" angedeihen lässt.

 

Nach einer hochprofessionellen und uns sehr begeisternden typisch russisch-heroischen Tanzvorstellung über die historische Entwicklung des Landes mit rasanten Übergängen in Tempi, Tanzstilen, Dramaturgie, Kostümwechseln, Medieneinsatz (Film) und Farbspielereien fahren wir ein letztes Mal durch die prächtigen unterirdischen Paläste Richtung Hotel Peking.

 

Jetzt schon zu Bett gehen? Nicht mit Manfred und mir! Da uns unser gestriger Umtrunk mit Alexander Sambuk in einer einheimischen Craftbeer-Kneipe so gut gefallen hat, führen uns unsere Füße wie von selbst erneut dorthin. Beim Anstellen an der Theke dreht sich plötzlich ein junger Russe um und fragt uns in einem hervorragenden Englisch, wo wir herkämen, normalerweise wären hier keine ausländischen Touristen – sofort sind wir in ein anregendes Gespräch vertieft und erfahren von Nikita bei köstlichem Black Tiger und Russian Lager vieles aus dem russischen Alltags- und Berufsleben, was wir vorher eben noch nicht wussten. Interessant ist der „Hunger“ der jungen Menschen. Nikita z.B. spricht ein ausgezeichnetes Englisch. Beigebracht hat er es sich zu 100% aus dem Internet und durch das Anschauen von Filmen. Überrascht hat er uns dann mit seinen Deutschkenntnissen und seinem Wunsch, die Sprache ebenso gut zu erlernen. Der junge IT-Fachmann erzählt uns ausführlich von deutschen Filmen, die er verschlungen hat. Wir verabschieden uns mit einem До свидания - in Berlin!

 

Ein kurzer Spaziergang über unseren Hotelvorplatz beendet dann den Abend. Schade, dass die großen Schaukeln dort immer noch von Pärchen und vielen Einzelpersonen besetzt sind, die sich hoch hinaus in den dunklen Nachthimmel schwingen. DAS nehme ich mir für den nächsten Besuch in Moskau vor: Schaukeln auf dem Majakowskij-Platz!

 

Hanne hat noch eine Ergänzung zum Abendprogramm:

 

Der Abend in Moskau konnte auch für Yoko und mich nicht einfach so im Hotelzimmer enden.

Nach einem vorzüglichen Abendessen im Café Puschkin sind wir zum Ritz Carlton gefahren. In der Lounge im 15. Stockwerk unter freiem Himmel haben wir ein Glas Wein genossen – aber noch viel mehr den wundervollen Ausblick: Direkt vor uns der beleuchte Kreml und der Rundumblick auf die Lichter dieser aufregenden Stadt. Am Himmel ein gelber Halbmond, lauschige Musik und Menschen in gelöster Stimmung – tanzend und lachend. Einfach wundervoll – wir möchten wiederkommen!!


Tag 45

18. August 2018


Tag 46

19. August 2018


Tag 47

20. August 2018

Heute muss ich mich doch einmal für die immer kürzer werdenden Beiträge entschuldigen.

Mir kommt es vor, als würden die Eindrücke immer mehr und immer vielfältiger werden und meine Aunahmekapazität immer kleiner und eingeschränkter.

In den Momenten der Begegnung aller Art sauge ich alles in mich hinein und möchte es gerne festhalten (was mir mit der Kamera nur zum kleinen Teil gelingt), aber es ist einfach zu viel. Begegnungen wirken ja ständig und eindrücklich und wie soll ich gleichzeitig bei einer Bootsrundfahrt mein Augenmerk auf jeden einzelnen Palast mit seinen unglaublichen Einzelgeschichten festhalten und dabei den unermüdlichen Jungen nicht aus den Augen verlieren, der unser Boot fast eine Stunde lang joggend verfolgt, uns auf jeder Brücke grinsend zuwinkt und mich dann immer der Gedanke beschäftigt: schafft er es bis zur nächsten Überführung oder doch nicht?! Er schafft es immer und verdient sich so auf eine witzige Weise, die mir bis jetzt neu war, sein Taschengeld, denn wir als Gruppe lassen uns nicht lumpen; wir hatten unseren Spaß und er durch diesen besonderen Sport sein kleines wohlverdientes Nebeneinkommen.

Mein Kommentar zu St.Petersburg: bitte selber besuchen! Das Venedig des Nordens ist überwältigend. Wie erwähnt hat jeder der rund um den Winterpalast gelegenen Paläste (und die sind unzählig) bewusst seine ganz eigene architektonische Note, aber auch seine eigenen Geschichten.

Wir besuchen die Isaak-Kathedrale, die ein Muss für jeden Besucher der Stadt sein sollte. Staunend blickt man zur Taube hinauf, die sich in der 4. größten Kuppel-Kathedrale Europas befindet. Auf dem obigen Foto seht ihr direkt unterhalb der Taube einen Heiligen seinen Arm erheben. Alleine dieser Arm hat eine tatsächliche Länge von 4m! Von unten kann man sich diese Dimensionen nicht vorstellen. Der Raum ist voller Gold, Mosaikkunstwerken, Japis- und Malachitsäulen, Prunk und Gloria.

Ein Muss ist natürlich auch der Besuch der letzten Ruhestätte der meisten russischen Zaren auf der Haseninsel, einer kleinen Binneninsel in der Newa. In der Peter-und-Paul-Kathedrale (Familiengruft der Romanows) liegen auch die Gebeine der letzten Zarenfamilie in einer eigenen kleinen Seitenkapelle (außer denen von Kronprinz Alexej und seiner Schwester Maria, die noch gentechnisch untersucht werden) - hier schließt sich der Kreis zum Besuch in Jekaterinburg, wo wir den Ort der Hinrichtung der Familie um Zar Nikolaus II. aufsuchten, die Kathedrale auf dem Blut.

Am Abend kommen wir in den Genuss einer sehr großzügigen Geste von Christian. Aufgrund der sehr sehr engen Zeitfenster erklärt er sich bereit, uns mit dem Bus zu unserem Abend-Event zu bringen und auch wieder heimzufahren: zu Schwanensee im Mariinski-Theater. Das 1860 erbaute und komplett renovierte Theater vermittelt das Gefühl, in vergangene Zeiten zurückversetzt zu sein. Die Schwäne brillieren 3 Stunden lang und begleiten uns dann Pirouetten drehend bis in den Schlaf. Gut, dass es Christian gibt. Das Hotel liegt fast 30 km außerhalb der Stadt.


Tag 48

21. August 2018

 

Der heutige freie Tag kommt wie gerufen - einmal wieder in Ruhe frühstücken, ganz ohne Zeitdruck per Shuttle zur Metrostation fahren (immerhin über 30 Minuten bei gottseidank flüssigem Verkehr), dann nochmals 25 Minuten in der Metro, bis wir genüßlich den Nevski Prospekt, die Paradestraße von St. Petersburg, entlangschlendern können. Obwohl, der Genuss vergeht schneller als erwartet, da das berüchtigte Petersburger Wetter zuschlägt. Unzuverlässig wie es ist, schüttet es einen Eimer Wasser über uns aus. Flüchtig erreihen wir den richtigen Ort: die Kupetz Eliseevs Halle, die seit 1907 mit ihrem Flair Menschen aus aller Welt auf eine Tasse Teee anzieht. Links von uns sitzen Chinesen, rechts Russen, wir in der Mitte - geht doch! Der Bohème stand in früheren Zeiten ein Geheimzugang in das darüberliegende Theater zur Verfügung - wir verlassen das Haus ganz normal durch den Haupteingang.

Bei Sonnenschein erreichen wir unser heutiges Hauptziel: Das Fabergé-Museum. Noch während der Busfahrt las ich einen kleinen Roman über die Fabergé-Eier und finde es nun großartig, die Gelegenheit nutzen zu können, um einen Teil der sagenhaften Eier im Original zu sehen zu. Die Eier stehen im Eingang des reich ausgestatteten Schuwalow-Palastes und ich erwarte nun natürlich nichts mehr, was die Ausstellungsstücke übertreffen würde. Weit gefehlt. Jetzt kommen Exponate zum Zuge, wie ich sie in ihrer Schönheit noch nie an einem Ort gesehen habe. Dinge des täglichen Lebens wie Geschirr, Tafelsilber, Uhren, Samoware, aber auch Uhren, Taschen, Dosen, Büroutensilien usw. aus Silber, Gold, Emaille, mit Edelsteinen besetzt stehen neben unbeschreiblich schönen Ikonen in herrlichen Räumen ausgestellt. Eine absolute Empfehlung des Hauses Kennel!

Beim Verlassen des Museums regnet es - Zeit heimzufahren. Nach fast 1,5 Stunden haben wir auch das geschafft. Wer begnet uns winkend auf unserer Hoteletage? Das gibts doch nicht! Sascha Sambuk iat zurückgekehrt. Er ersetzt Alice Bota, die aktuelle ZEIT-Expertin, die gerade eine kranke Katze zu versorgen hat... Wir freuen uns natürlich, dass Sascha da ist, haben aber noch keine Antwort, wie es um die Zusammenhänge mit Frau Bota steht. Eine Katze? Na, warten wir doch den morgigen Tag ab.Vielleicht erfahren wir dann mehr...

 


Tag 49

22. August 2018

 

7.956 km haben wir heute beim Grenzübertritt nach Estland geschafft - alleine in Russland; die Mongolei und China nicht mit eingerechnet! Vier Wochen Russland liegen hinter uns, unglaublich! Ab jetzt heißt es wieder Schengen, Europa. So wenig Probleme bei einem Grenzübertritt hatten wir noch nie. Zwar dauert das Ganze alles in allem gute 3 Stunden, aber es gibt kein Kofferschleppen, kein Stress, stattdessen gemütliches Buchlesen, Passkontrolle und fertig. Im Bus Shanghai wird so etwas natürlich mit Krim-Sekt begossen.

Aber es schleicht sich doch unerwartet ein Gefühl der Freude ein. Vermutlich ist es eine Mischung aus überstandener Anspannung (taucht bei mir immer an Grenzen auf), erregender Neugierde auf die baltischen Staaten und der gleichzeitigen, spürbaren, langsamen Annäherung an heimatliche Gefilde. Und diese Vorfreude wird belohnt.

Der Himmel ist immer mit uns - weiße Wölkchen zieren malerisch das Blau über der Ostsee, angenehme Lüftchen zerzausen bei angenehmen Temperaturen die Haare, die Sonne begleitet uns unaufdringlich. Als wir in Tallinn einfahren, erfüllen sich meine Erwartungen sofort. Jung, frisch, dynamisch - so ist das Bild dieser Stadt am Meer. Die Moderne mit innovativen Bauten legt sich selbstbewusst um den historischen Stadtkern aus dem 15. Jahrhundert, dem Herzen der Stadt. Wir haben leider mal wieder nur wenige Stunden, um das grobe Kopfsteinpflaster zu meistern; ich verliebe mich aber sofort in diese Stadt rund um den Rathausplatz mit seinen überraschenden schmalen Gässchen, in denen man sich manchmal ducken muss, um sich  unter den Gewölben nicht den Kopf zu stoßen. An jedem kleinen Winkel bleibe ich stehen, da es überall etwas zu entdecken gibt. Nur durch Zufall ziehe ich an einer alten Türe, die meine Neugierde erweckt. Dahinter verbirgt sich eine Schatz: das kleinste und älteste Sakralgebäude der Stadt, die Heiliggeistkirche (erbaut 1316). Die ersten Predigten, die je auf estnisch gesprochen wurden, fanden hier Gehör. Imponierend sind für mich die ungewöhnlichen bildlichen Darstellungen im Chorgestühl mit Abbildungen aus der Armenbibel (Biblia Pauperum), aber auch die wunderschöne Renaissance-Kanzel und der hölzerne Schrankaltar, der die Ausgießung des Heiligen Geistes darstellt. Dann wiederum die modernen Kirchenfenster, zu denen ich bis jetzt leider noch keine Erklärung gefunden habe. Eine solche Kirche habe ich noch nicht gesehen; sie hat eine ganz eigene fesselnde Wirkung.

Um nicht am üblichen Hotel-Einheits-Abendessen teilnehmen zu müssen, entscheiden Yoko und ich spontan, einen Tisch in einem garlic-Restaurant zu reservieren. Natürlich bleiben wir nicht alleine und so  speisen wir, dem mittelalterlichen Rahmen angemessen, vorzüglich in einem der historischen Gebäude, dem Balthasar. Es ist nicht nur ein historisches Gebäude, sondern wohl das Heim der ältesten Apotheke Europas, nur eine Etage unter uns. Hier entspricht nichts irgendeiner Norm, alles ist krumm, schief, ungewöhnlich. Wir genießen jeden Moment und ziehen zufrieden bei Fackelschein, der den Platz noch stimmungsvoll beleuchtet, vondannen. Ich darf nur nicht an morgen denken, wenn der Knoblauch, den wir in Mengen genossen haben, seine Wirkung entfalten wird... Gut, dass Hanne, Yoko und ich Einzelplätze belegen und so unseren Mitreisenden nicht allzu dolle auf die Pelle rücken müssen.

Während ich schreibe, verfolge ich aus meinem Fenster im 20. Stockwerk, dass immer noch Kreuzfahrtschiffe in den Hafen einlaufen. Es blinkt draußen auf dem Meer, am Horizont. Ein friedlicher Anblick. Womöglich ein guter Zeitpunkt, um nun endgültig den Griffel aus den Händen zu legen - zumindest für heute. Liebe Grüße nach Apeldör! Dort sitzen gerade ein paar ganz wunderbare Menschen zusammen!!!


Tag 50

23. August 2018

 

Heute Morgen herrscht richtig Trubel; alle möglichen  Nationalitäten tummeln sich in der Lobby, Frühstücks-Massenabfertigung im Hotel; so etwas haben wir bei den über 30 Hotels auf unserer Reise in diesem Ausmaß auch noch nicht erlebt. Wie wir von unserem lokalen Guide wenig später erfahren, gehört unser Haus mit seinen 27 Stockwerken zu den ersten in Tallinn, welches in kommunistischer Zeit mit "Mikro-Beton" gebaut wurde. Keine Ahnung, was das ist? Na, ganz einfach: mit Mikrophonen verwanzte Wände, die dazu dienten, die lieben Mitmenschen abzuhören. Dass dies heute nicht mehr der Fall ist, versichert sie uns natürlich ausdrücklich. Ein letztes Mal erlaufen wir nun unter ihrer Führung diesen schönen historischen Stadtkern, der seit Ende der 90er Jahre mit zum UNESCO-Weltkulturerbe gezählt werden darf. Mit neuen Augen betrachte ich heute die vielfältigen Fassaden, die sich als Gildehäuser entpuppen, die während der Hansezeit als Lager- und Handelsstätten dienten. Vater und Sohn nennen sich Gebäude, bei denen ein volles und ein angebautes halbes Dach zeigen, dass ehedem zwar Bauplatz vorhanden war, dieser aber nicht für 2 komplette Häuser ausreichte (siehe oben). Dann baute man eben halbe Häuser...

Wiedersehen darf ich auch die Heiliggeist-Kirche, diesmal jedoch nicht von innen, sondern mit ihrem äußeren Schatz: der ältesten Uhr Tallinns (1684), die bis heute funktioniert (allerdings mit einem modernen Uhrwerk). Dass ich das gestern nicht gesehen habe! Wie mir ein mich beobachtender Mitreisender erklärt, bin ich gestern wohl ziemlich fokussiert durch die Gegend gelaufen, habe weder nach links noch nach rechts geschaut und dabei nicht einmal die Kirchenwand als solche erkannt.

Auf unserem Weg fällt mir erstmals auf, wie der Wind, der stetig von der Ostsee heraufweht, gelbe Blätter aufwirbelt - Herbstblätter! Habe ich während dieser Reise den deutschen Sommer verpasst? Ja, es scheint so. Schon wieder löse ich mich von der Gruppe und betrete ein letztes Mal eines der Gebäude. Ich möchte die alte Apotheke, die Raeapteek von innen sehen und unterhalte mich ein wenig mit der Apothekerin. Sie empfiehlt mir den Kräutertrank Claret, der sich nun selbstverständlich in meinem Handgepäck wiederfindet. Die Rezeptur kann gerne bei mir abgefragt werden.

Weiter gehts. Um 11 Uhr stehen die Busse bereit und zielstrebig fahren wir durch eine Landschaft, die mal wieder wie für mich gemacht ist. Ich genieße lichte Wäldchen, die in leichte Hügellandschaften eingebettet sind und von kleinen Gehöften besiedelt werden.Tatsächlich sind auch Einzelhäuser gerne unter Blätterdächern verborgen, ja, ganze Siedlungen befinden sich inmitten von hellen Waldgebieten. Fast unbemerkt überqueren wir die Grenze nach Lettland, während Wolfgang und Sascha uns mit ihren Fachgebieten gedanklich herausfordern.

So steuern wir entspannt auf unser nächstes Mittagsmahl zu - diesmal ist es (wie schon so oft) auf 15 Uhr angekündigt.  Unablässig wandert der Uhrzeiger weiter und weiter. Wir befinden uns inmitten des Nationalparks Gauja und bemerken erst im letzten Moment, dass uns ein Schild Richtung Zipari verweist und sich abseits der Straße plötzlich ein idyllischer Hof inmitten einer wunderschönen großflächigen Senke vor uns auftut. Haben wir uns verfahren? Ein stattlicher Mann steht im Schatten und winkt uns einladend näher herbei. Und so parkt der Bus unter hohen Eichen mitten auf dem staubigen Feldweg. In diesem Moment wird uns einer der schönsten Nachmittage auf dieser Reise beschert.

Es stimmt aber auch alles. Keiner weiß so recht, wie ihm geschieht. Wie sich herausstellt, heißt der stattliche Mann Maris. Er ruft uns ganz gelassen zu sich und wir umringen gespannt eine merkwürdige Maschine. Maris erklärt auf Russisch, Sascha übersetzt. Und so erfahren wir, dass Maris nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion überlegt hat, was man denn so machen könne, um sich über Wasser zu halten. Also entwickelte er diese Maschine (die es auch nur einmal gibt), legt Espenholz darauf und schneidet wie mit einer Reibe lange, geschätzte 8 mm dicke Holzscheiben ab, die er trocknet und an Häuslebauer als langlebige Dachschindeln verkauft. Er zeigt genau, wie die 5-fache Schichtung auf dem Dach funktioniert, beantwortet freundlich alle aufkommenden Fragen und schickt uns dann ein paar Schritte weiter zu einer ungemein schön geschmückten Hütte, in der ein paar Frauen bereits auf uns warten. So liebevoll ist noch nie für uns eingedeckt worden! Wären wir nicht doch ein wenig hungrig, würden unsere Münder immer noch vor Verwunderung offen stehen. Alle nun aufgetragenen Speisen sind Hausmannskost und von Maris' Frau Sendija selbst zubereitet. Wir fühlen uns wie in eine andere Zeit und eine andere Welt versetzt nach allem, was wir bisher erlebten. Als wir dann Honig von gestern verkosten dürfen, sind wir alle aus dem Häuschen. Frisch geschlagen von gestern, aber auch 1 Monat alten und einen einjährigen Honig zum Vergleich. Die dazugehörigen Bienen in ihren bunten Kästen sind nur wenige Schritte von uns entfernt.

Helga ist ganz verzückt: "Claudia, du musst unbedingt einmal das Plumpsklo besuchen! Unbedingt!" Da sie mich weiter drängt, nehme ich den Fotoapparat und nähere mich dem angepriesenen Holzkonstrukt. Der Vorplatz ist frisch aufgeharkt, eine Schüssel voller Wasser ruht neben dem Seifenspender auf einem Baumstumpf und das grüne Handtuch hängt luftig ausgebreitet auf einem Ast. Ich öffne die Holztüre und feiner Räucherstäbchen-Duft schlägt mir entgegen; eine kleine Kerze brennt, gepflückte Wiesenblumen stehen im Eck, kreisrunde, selbstgehäkelte Teppiche liegen auf dem Boden, ein Holzdeckel mit Griff verschließt die Kloöffnung. So was aber auch. Entzückend!

Ruven entdeckt nun etwas ganz Besonderes: ein mindestens 7m hohes Konstrukt, welches in zwei benachbarte Bäume hineingearbeitet wurde, entpuppt sich als ungewöhnliche Schiffschaukel. Alleine schafft er es nicht, das Ganze zum Schwingen zu bringen. Also stellen sich Lisa und ich auf die eine Seite und er auf die andere und schaffen es gemeinsam mit viel Schwung gaaaaaaanz hoch hinauf in die Lüfte. Ein Traum! Nun muss ich doch nicht bis zum nächsten Besuch in Moskau warten, um die Schaukeln am Majakowsij-Platz zu nutzen - hier konnte ich meinen Wunsch schon viel früher erfüllen.

Langsam müssen wir diesen friedlichen Ort verlassen. Wir erfahren noch viel über seine Geschichte und das Leben hier. Die Kinder werden uns noch voller Stolz vorgestellt und erst im Bus erzählt uns Sascha, was er vom Hausherren noch so ganz nebenbei erfahren hat: Maris war einst 6-facher lettischer Meister und sowjetischer Vize-Meister im Hochsprung bevor er den Sport 1983 aufgab. Eine spannende Familie, die ein Strahlen in die Augen unserer Gruppe gezaubert hat!

90 km später fahren wir in die Hauptstadt ein. Riga mit seinen 1,5 Mio. Einwohnern ist eine Dimension größer als Tallinn und erste Jugendstilhäuser machen neugierig auf den morgigen Tag. In der Lobby erwartet uns bereits eine weitere Überraschung: Alice Bota, die aktuelle ZEIT-Korrespondentin ist zu uns gestoßen. Ihrer Katze geht es immer noch nicht besser. Aber sicher gibt es dazu im Laufe der Zeit noch mehr zu berichten.

Bei einem ersten abendlichen Vortrag beschreibt Alice Bota ihren Alltag und die Rahmenbedingungen ihres Journalistendaseins in Moskau. Offenbar wird es zunehmend schwerer, an politische Informationen heranzukommen, da die Zugänge zu den inneren Zirkeln des Politapparates immer rarer werden. Sie nennt das folglich "Black Box" bzw. "Kreml-Astrologie". Ich freue mich auf die weiteren Diskussionen am morgigen Tag!


Tag 51

24. August 2018

 

Ilse - diesen alten und herrlichen Namen trägt unsere junge Riganische Stadtführerin.

Ich wusste es. Riga ist eine wundervolle Stadt. Nicht nur, dass Ilse uns einfach mal so ein lettisches Volkslied vorsingt (in Lettland ist jeder 4. Bürger in einem Chor aktiv!) und einen Volkstanz andeutet, nein, sie zeigt uns all die Nettigkeiten, die über das Historische etwas hinausführen. Durch das Stadtzentrum z.B. floss einst der Fluss Riga. Das Problem "Umweltverschmutzung" gab es offensichtlich schon sehr früh in der Menschheitsgeschichte, denn bereits die lettischen Vorfahren warfen all ihren Müll einfachheitshalber in den Fluss. Er wurde dabei nicht nur immer schmäler und verstopfter, sondern so stinkend, das Katharina die Große eingreifen musste und befahl, ihn zuzuschütten. Gesagt, getan. Um aber immer an dieses namensgebende Flüsschen zu erinnern, verlaufen wellenförmige Blumenrabatten durchs Zentrum und auch die Pflastersteine sind wellenförmig angeordnet. Ohne Ilse wäre uns das nie aufgefallen.

Das Wahrzeichen der Stadt ist eine Katze. Sie ist das bronzene Protesttier eines verärgerten Bürgers, der sie einst aus Groll auf die städtische Gilde mit dem Hintern Richtung Gildehaus (heute Konzerthalle) auf seinem Dach installieren ließ. Diese Geschichte hatte viele Folgen, das Schmunzeln bleibt bis heute.

Beim Besuch der Drei Brüder (historisches Gebäudeensemble) erfreuen uns 2 Musiker, die sofort erfassen, mit welchen Nationalitäten sie konfrontiert sind und stimmen sogleich deren Nationalhymne mit ihren Instrumenten an. Djamilia wünscht sich ihre österreichische Hymne und sofort erklingt sie. Franzosen hören das und wünschen sich umgehend die ihrige. Unverzüglich ertönt die Marseillaise und eine komplette Touristengruppe fällt singend ein: Marchons, marchons!

Nun gut, wir auf jeden Fall marschieren in der Altstadt Rigas weiter und erreichen unser Hauptziel, das Schwarzhäupterhaus. Es diente ab dem 14. Jh. sowohl den Kaufleuten als auch der vorwiegend deutschen Bürgerschaft Rigas für Zusammenkünfte.

Die Companie der Schwarzen Häupter war aus der Ende des 13. Jahrhunderts tätigen Bruderschaft des Heiligen Georg hervorgegangen. Sie vereinigte junge, unverheiratete ausländische Kaufleute, die in Riga lebten, ohne das Bürgerrecht der Stadt zu besitzen. Anfangs war der Heilige Georg (Beschützer der Ritter und Krieger) der Schutzpatron dieses Bundes. Später nahm diese Rolle der Heilige Mauritius ein, dessen Symbol, der Mohrenkopf, in das Wappen der Schwarzhäupter eingegangen ist.

Dies habe ich gerade bei Wikipedia nachgeschlagen, da diese Informationen auf dem Platz vor dem Denkmal des Roland nicht bis zu meinen Ohren vorgedrungen sind. Stattdessen habe ich Markus fotografiert, der heute in seiner freien Zeit unsere Gruppe begleitet. Er ist gerade auf der Jagd nach dem Glück und versucht sich an dem Geschenk der Partnerstadt Bremen, die Riga 1990 eine spezielle Skulptur der Bremer Stadtmusikanten vermachte. Wichtig ist hier für jeden Glückssuchenden, die Nasen der Tiere zu rubbeln. Das meiste Glück erhält die Person, die es schafft, den Schnabel des Hahnes zu erreichen. Blank poliert ist jedoch vor allem das Eselsmaul. Wie steht es nun um Markus? Er strengt sich richtig gut an, hangelt sich geschickt nach oben  und - schafft es unter dem Jubel vieler Italiener bis ganz hoch zum Schnabel des Hahns. Verdient hat er das!

Bevor mein Tages-Highlight beginnt, möchte ich noch gerne Europas größte Markthallen besuchen. Die Letten sind sehr stolz auf diese Besonderheit, wie ich später erfahre. Hätte ich das nur früher gemacht! Marktbeschicker präsentieren alles, was das Herz begehrt. Obst, Gemüse, Kräuter, Käse, Fleisch, Fisch, Backwaren, Kleidung usw. sind erhältlich - hier kauft die heimische Bevölkerung, der Restaurantbesitzer und auch der gemeine Tourist. Das, was mich fesselt ist, dass die Bäuerin neben ihren verschiedenen Beeren- und Kräutersorten auch Hanfprodukte anbietet oder drei Becher frisch geerntete Pilzmischungen neben Sanddornbeeren präsentiert. Intensive Düfte schnuppernd eile ich so von Stand zu Stand und bewundere die vielen Tomaten- und Kartoffelsorten. Knoblauch scheint äußerst beliebt zu sein (das Kilo für 3 Euro), aber auch milchsauer eingelegte Tomaten, Bohnen, Gurken, Knoblauch, Paprika oder Krautsorten. Es ist eine Hochgenuss, hier durchzuschlendern!

"Leider" muss ich nun zu einem recht kurzfristig vereinbarten Termin. Erneut wage ich nämlich den Versuch, eine Facebook-Bekanntschaft persönlich zu treffen. Egija ist eine weltweit anerkannte Perlenmacherin und wir haben uns in einem Café verabredet. Wir erkennen uns sofort und freuen uns über unsere Begegnung. Ich besitze einige ihrer Künstlerperlen, aber auch ein Bild, welches sie gemalt hat. Plaudernd verbringen wir eine schöne Zeit miteinander und verabreden uns auf ein nächstes Mal - in Deutschland.

Bevor ich nun zu meinem nächsten Date eile, gönne ich mir eine halbe Stunde Auszeit auf einer sonnenwarmen Wiese am Pilsetas Kanal, wo viele Menschen gemütlich Rast einlegen, Möwen, Enten und Raben beobachten oder ein Schläfchen abhalten. Eine Frau neben mir jedoch kann aus welchen Gründen auch immer ihre Tränen nicht zurückhalten und versucht unauffällig schluchzend, sie mit ihrem Taschentuch unter der Sonnenbrille wegzutupfen. Ich stehe auf, pflücke eine schöne Blume am Wegesrand, laufe zurück und drücke sie ihr in die Hand. Sie ist natürlich überrascht, sagt irgendetwas auf Lettisch und strahlt dann über das ganze Gesicht. Puh, vielleicht hat ihr das ein wenig über ihren Kummer hinweggeholfen.

Nun komme ich in die Hotellobby, wo sich Gruppe Hamburg und Gruppe Shanghai nach längerer Pause wiederbegegnen. Alice Bota hält dort in der offenen Halle spontan einen Vortrag über die Ukraine, ein Thema, welches ihr sehr am Herzen liegt. Sie hat die schwierige Zeit am Maidan persönlich miterlebt und berichtet uns nun über die Ereignisse davor und danach. Natürlich überziehen wir wieder den Zeitrahmen - wie immer. Aber das hat ja seinen Grund. Lohnenswerte Ereignisse dürfen das.

Kurzer Zusatz: vieles, was ich und was wir auf dieser Reise erleben kann ich gar nicht niederschreiben, weil auch meine Zeit, meine Tages-Zeit, sehr beschränkt ist und daher leider vieles auf der Strecke bleiben muss. Alles, was hier zu lesen ist, sind Tagesschnipsel. Ich wundere mich immer wieder, was ein einziger Tag alles in sich birgt, wenn man sich ihn bewusst macht. Es sind ja nicht nur die Ereignisse, die so passieren, es sind die Empfindungen, die mit diesen Ereignissen verbunden sind und die einen dann wiederum formen und Ereignisse als wichtig oder unwichtig erscheinen lassen. Vielleicht sind die unwichtigen morgen aber wichtig!? Ich befürchte, dieses Thema führt hier nun zu weit... Schauen wir doch einfach, was der morgige Tag bringt.


Tag 52

26. August 2018

 

Schon wieder steht heute ein Grenzübertritt an. Wir verlassen Lettland und erreichen fast unbemerkt Litauen. Das angeblich meistbesuchte Touristenziel in diesem Land gehört für mich zu den skurilsten, die ich auf dieser Reise gesehen habe: den Berg der Kreuze.

Warum dieser Ort entstanden ist, ist umstritten und von vielen Legenden begleitet. Man geht von 1830/31 aus (Novemberaufstand gegen den Zaren), als erste Kreuze von einzelnen Trauernden hier aufgestellt wurden. Den Regimen war der Ort lange ein Dorn im Auge (begleitet von mehrfachen kompletten Niederwalzungen und Zerstörung) und so wurde er u.a. zum Symbol des Widerstandes, aber hauptsächlich als Zeichen der Trauer, der Danksagung, der Wunschäußerung oder als Gebetsstätte bis heute genutzt. Der Hügel ist übersät mit geschätzten 200.000 Kreuzen in allen Ausführungen und Größen, die individuell gebracht und aufgebaut werden und von unzähligen Rosenkränzen behängt sind. Der Platz wurde zur Wallfahrtsstätte und 1993 von Papst Johannes Paul II besucht. Man spekuliert, dass auch Papst Franziskus, der dieses Jahr nach Litauen kommt, erneut einen Besuch abstatten wird. Hoffentlich wird dann der Himmel von seinen tiefhängenden dunklen Wolken befreit sein.

 

Der Nachmittagsweg ist verkürzt, da Alice Bota in unserem Bus die Lage von „Minderheiten“ in den Baltischen Staaten erörtert. Während der Jahre der Unabhängigkeit handhabten die einzelnen Länder unterschiedlich, wie sie mit der Integration von Nicht-Balten umgingen. Bei Esten und Letten wurden die große Minderheit der Russen zu sogenannten Nicht-Bürgern, also Menschen mit dauerhaftem Aufenthaltsrecht, die weder die lettische/estnische noch eine andere Staatsbürgerschaft besitzen. In Estland sind immerhin gute 25-30% aus russischen Ethnien stammend, in einzelnen Gebieten leben bis zu 90% russischsprachige „Minderheiten“. Spannend, welche Folgen sich aus diesen Verteilungen ergeben. Noch gestern klagte Egija über das Thema Bildung, welches in Estland momentan sehr hochgekocht wird. Die russischen Ethnien fordern, dass ihre Sprache zum schulischen Pflichtsprachunterricht hinzugefügt wird, was aber von der Mehrheit der Esten sehr kritisch gesehen wird und zu massiven Diskussionen führt.

 

Mein Eindruck ist, dass das Zusammenleben im Baltikum nicht so einfach ist, wie man es bei uns im Westen darstellt und möchte mich gerne künftig weiter damit beschäftigen.

 

Jetzt aber führt uns unsere resolute Stadtführerin energisch durch ihre verregnete litauische Hauptstadt. Trotz der kurzen Zeit von 3 Stunden erahnen wir die unglaubliche Schönheit von Vilnius. Wir besuchen die Peter und Paul Kirche. Eigentlich wollte ich keine Kirchen mehr betreten nach der Kirchenschwemme unserer Reise. Aber die Neugierde siegt, denn bisher wurden wir immer wieder neu überrascht. Auch hier entweicht mir der Hauch eines „Ohhh“s, denn es empfängt uns der Sologesang einer männlichen Stimme, die das helle Kirchenschiff erfüllt. Ein Gottesdienst ist im Gange und so bewegen wir uns nur sehr vorsichtig durch kleine Teilbereiche der barocken Kirche, um die Vielzahl der Gläubigen nicht zu stören (Unverbesserliche trampeln dennoch bis nach vorne durch).  Wände und Decken sind mit über 2000 weißen Stuckplastiken übersät, in der Mitte hängt eine als Kogge gestaltete riesige Lampe, da Vilnius trotz der Binnenlage mit zur Hanse gehörte.

 

Der Himmel wird immer dunkler, aber wir entdecken an jeder Ecke diverse Hochzeitspaare, die wie überall auf unserer Reise den Samstag als bevorzugten Heiratstermin gewählt haben und sich nun an den schönsten Stellen der Stadt fotografieren lassen.

 

Wir erhöhen langsam unsere Schrittfrequenz. Markus hat mir gottseidank seinen Schirm mitgegeben, denn nun öffnen sich alle Himmelsschleusen, exakt, nachdem wir das Tor der Morgenröte gerade verlassen haben. Dort hängt das Wunderbild der heiligen Jungfrau Maria, welches sowohl von den Katholiken, den Orthodoxen und den Unierten (griech. Katholiken) verehrt und als Wunder vollbringend angesehen wird. In der ganzen Welt ist dieses Renaissance-Gemälde bekannt. Auf dem Weg zu Maria müssen wir an Gläubigen vorbei, die die steilen Marmortreppen auf Knien bezwingen.

Während es draußen herniederprasselt flieht die Gruppe auseinander wie Wasserspritzer; Hinterhöfe, Torbögen, Dachvorsprünge, alles ist möglich, um unterzuschlüpfen. Wo aber entdecke ich die findige Yoko? In einem Café, wo sie gemütlich einen Tee zu sich nimmt und Unbill mit dem Nützlichen verbindet.

Nun ein gar witziges Highlight: wir kommen in die Literatengasse. Hier wird in diverse Wänden von unterschiedlichen Künstlern an Literaten gedacht, die in Vilnius waren. Sie haben dies künstlerisch umgesetzt. Ein paar Beispiele sind oben zu sehen. Leider rasen wir im Eilschritt weiter, was in mir den Wunsch bestärkt, unbedingt eines Tages wiederzukommen.

 

Und so streifen wir auch leider die unabhängige Republik Uzupis nur sehr am Rande. Sie ist in einen Stadtteil nahe der Altstadt integriert und verfügt über eine eigene Verfassung. Sie entstand als Kunstaktion, hat aber immer häufiger auch Besuch von ausländischen Staatsvertreter, die sich trotz fehlender völkerrechtlicher Anerkennung diese Attraktion nicht entgehen lassen wollen.

 

Weil es so schön ist, hier ein paar Verfassungsgrundsätze, wie sie in der Nähe des Parlamentsgebäudes (das Cafe Uzupio) zu lesen sind:

 

1.      Jeder Mensch hat das Recht, am Fluss Vilnia zu leben, und der Fluss Vilnia hat das Recht, an jedem vorbei zu fließen.

 

2.      Jeder Mensch hat das Recht auf heißes Wasser, Heizung im Winter und ein Ziegeldach.

 

3.      Jeder Mensch hat das Recht zu sterben, ist jedoch hierzu nicht verpflichtet.

 

4.      Jeder Mensch hat das Recht, sich zu irren.

 

5.      Jeder Mensch hat das Recht, einzigartig zu sein.

 

6.      Jeder Mensch hat das Recht zu lieben.

 

7.      Jeder Mensch hat das Recht, nicht geliebt zu werden, jedoch nicht unbedingt.

 

8.      Jeder Mensch hat das Recht, weder berühmt noch bekannt zu sein.

 

9.      Jeder Mensch hat das Recht, zu faulenzen oder nichts zu tun.

 

10.   Jeder Mensch hat das Recht, eine Katze zu lieben und für sie zu sorgen.

 

11.   Jeder Mensch hat das Recht, für seinen Hund zu sorgen, bis einer von beiden stirbt.

 

12.   Ein Hund hat das Recht, Hund zu sein.

 

13.   Eine Katze ist nicht verpflichtet, ihren Hausherrn zu lieben, aber in schweren Momenten muss sie ihm beistehen.

 

14.   Jeder Mensch hat das Recht, manchmal nicht zu wissen, ob er Verpflichtungen hat.

 

15.   Jeder Mensch hat das Recht zu zweifeln, ist jedoch hierzu nicht verpflichtet.

 

16.   Jeder Mensch hat das Recht glücklich zu sein.

 

17.   Jeder Mensch hat das Recht unglücklich zu sein.

 

18.   Jeder Mensch hat das Recht zu schweigen.

 

19.   Jeder Mensch hat das Recht zu glauben.

 

20.   Kein Mensch hat das Recht, Gewalt auszuüben.

 

21.   Jeder Mensch hat das Recht, seine Nichtigkeit und seine Größe zu begreifen.

 

22.   Niemand hat das Recht, nach der Ewigkeit zu trachten.

 

23.   Jeder Mensch hat das Recht zu verstehen.

 

24.   Jeder Mensch hat das Recht, nichts zu verstehen.

 

25.   Jeder Mensch hat das Recht, verschiedenen Nationalitäten anzugehören.

 

26.   Jeder Mensch hat das Recht, einen Geburtstag zu feiern oder nicht zu feiern.

usw.

 

Die Republik wird weltweit durch über 200 Botschafter und Ehrenbürger vertreten, u.a. den Dalai Lama. Alles crazy und spannend. Verfroren fahren wir nun ins Hotel. Unser unerschütterlicher Wolfgang hält im Speisesaal mit Jugendherbergscharme für Gruppe Shanghai einen Vortrag über geologische Gegebenheiten des Baltikums und den Bernstein. Alles schon wieder: skuril!

Als dann Franz an unserem Tisch vorbeiflaniert und uns, Hanne, Yoko und mich, die drei baltischen Blüten nennt, falle ich komplett vom Glauben ab...


Tag 53

26. August 2018

 

Heute gibt es kaum Fotos, kaum Text.

Die heutige Busfahrt nach und in Polen ist zäh, holprig, von vielen Umfahrungen und Sperrungen geprägt und durch viel Schlaf gekennzeichnet.

Ja, wir fahren durch wunderschöne Gegenden in der Masurischen Seenplatte, leicht, beschwingt, zärtlich, wie in Suleyken. Die geschwungene Moränenlandschaft mit den eingebetteten Seen ist trotz des schwer behangenen Himmels eine Augenweide, aber sie schläfert mich tatsächlich ein. Asche auf mein Haupt!

Unser Ziel ist Danzig und erst am Abend treffen wir ein, nach über 540 km. Der Blick aus meinem Fenster ist nicht vielversprechend, der Abendspaziergang durch die Altstadt an der Mottlau entlang schon. Nach dem Genuss von Danziger Goldwasser ist es aber genug für heute. 


Tag 54

27. August 2018

 

Nur 3 Stunden Stadtbesichtigung in Danzig!

Aber die haben es in sich. Wie so oft erleben wir aufgrund einer sehr guten Stadtführerin, wie schön und liebenswert eine Stadt sein kann, die schon so vieles mitgemacht hat.  Danzig wurde zu 90% zerstört und der Wiederaufbau zeugt von Sachverstand und Liebe bis ins Detail. Bis heute wird in der Altstadt saniert, restauriert und neu gebaut - mit großartigem Ergebnis für die alte Hansestadt. Letztendlich umkreisen wir hauptsächlich die Marienkirche, eine gotische Backsteinkirche und eine der größten Hallenkirchen weltweit. Dabei streifen wir die Günter-Grass-Galerie, wobei ich nicht umhin komme, die von Grass selbst gefertigte Butt Skulptur zu küssen. Bringt das Glück? Verwandelt sich der Butt vielleicht in einen Prinzen? Details verrate ich hier nicht. Wir schlendern durch die berühmte Langgasse und kommen zum Langen Markt zwischen Grünem Tor und dem Langgasser Tor.

Gottseidank gibt es jetzt keine merkwürdigen Augenkontakte in der Gruppe mehr, seit alle bereits in Tallin zu verstehen gelernt haben, dass unser Guide nicht von "Beischlaf", sondern "Beischlag" spricht, als sie immer wieder auf die terrassenartigen erhöhten Vorhöfe weist, die die Bürgerhäuser in früherer Zeit vor Überschwemmungen schützen sollte und später als Freisitz genutzt wurden. Vor allem in der Frauengasse sind sie noch originalgetreu zu sehen.

Bald erreichen wir das Zentrum des Langen Marktes. Trotz der idealen Tagestemperaturen und blauem Himmel scheint Neptun inmitten seines wasserspeienden Brunnens zu frieren. Oder hat der Spruch auf seinem wärmenden T-Shirt etwas mit den politischen Statements zu tun, die so kurz vor den Wahlen das polnische Volk beschäftigen? Laut unserer Stadtführerin ein deutliches Ja zu dieser Frage. "Konstytucja" lautet der Protest, mit dem an die Verfassung erinnert werden soll. Das Shirt taucht in allen polnischen Städten und nicht nur auf Denkmälern und Skulpturen auf. Zum Teil wird es über Nacht entfernt, zum Teil aber von Stadtoberen durchaus toleriert, so wie hier in Danzig. Es findet auf jeden Fall große Beachtung.

Unwirklich erscheint mir, dass wir nach diesem kurzen und sehr eindrücklichen Besuch in dieser wunderschönen Stadt in den Bus einsteigen und in Kürze Deutschland erreichen werden. Sicher, es sind noch ein paar hundert Kilometer bis dahin, aber was ist das schon nach dieser Reise? Berlin hat uns schnell wieder und ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen, an das Eintreffen im Swissotel am Ku'damm vor genau einem Jahr, als wir die "Südroute" von Shanghai nach Hamburg bereisten. Diesmal steht unser Oli an der Tür, um uns zu begrüßen - ein herzliches Umarmen und die Wiedersehensfreude hat mich gepackt. Statt mit der Gruppe essen zu gehen, setzen wir drei (Manfred, Oli und ich) uns unter den dunklen Nachthimmel von Berlin (unter einen Sonnenschirm, das es zu regnen beginnt) und plaudern bei ein, zwei Bierchen über alles, was uns in den Sinn kommt.

Bei unserer Rückkehr sitzen nur noch Hanne und Yoko in der Bar. Wir haben gerade Michael Thumann verpasst, der uns überraschenderweise besucht hat. Wie schade, das wäre noch das Tüpfelchen auf dem i gewesen, wenn wir so gebührend hätten Abschied voneinander feiern können. Gut, es ist wohl bereits besprochen - wir holen das nach...


Tag 55

28. August 2018

 

Nach einem schnellen Frühstück treffen wir uns gleich am nahegelegenen Berliner Zoo mit unserer kleinen Berliner Familie. Die wenigen Stunden, die wir zur Verfügung haben nutzen wir weidlich aus und genießen die Zeit voller Muse. Danach, so wird mir schmerzlich bewusst, ist für mich meine wunderbare Bus-Zeit abrupt zu Ende gegangen, denn Manfred ist mit einem Leihwagen vorgefahren, mit dem wir nun, vollgepackt mit allen unseren Koffern und Tüten, unsere letzte Reisestation ansteuern werden.

Der Bus ist schnell in Hamburg, schneller als wir. Folgerichtig treffe ich bei unserer allerletzten Haltestelle im Le Meridien nur noch einen Bruchteil unserer Gruppe beim Sektempfang an. Es machen sich die meisten bereits für das festliche Abschiedsessen fertig. Am schönsten ist aber die herzliche Begrüßung von Chris, der als Vertreter von ZEITreisen noch auf uns gewartet hat. Chris und ich haben genügend Raum, um uns über die alte Reise, bei der er Mitreisender war, die jetzige, bei der er gerne dabei gewesen wäre und auch die künftige(n) Reise(n), die er gerade intensiv plant,  zu unterhalten. Mal schauen, was da noch Spannendes und Verheißungsvolles in den ZEIT-Beilegern verborgen ist.

Nun sitzen wir also beim Abschiedsessen, Blick auf die Alster. Trotz der komplett versalzenen Speisen versüßen wir uns den Abend mit kleinen Rückblicken und blumigen Abschiedsreden. Herzlich fällt die Verabschiedung und Danksagung an unseren besten aller besten Reiseleiter aus. Wolfgang Pohl fehlen da irgendwie die Worte, aber wie er so ist: noch wenige Tage zuvor hat er sich an die Arbeit gemacht und für jeden von uns Reisenden kleine Geschenke vorbereitet und für unsere wichtigsten weiteren Begleiter, nämlich unsere Busfahrer, kleine Kunstwerke auf Briefumschläge gezeichnet. Dorthinein versenken wir als Reisende dann kleine Anerkennungen und übergeben diese mit herzlichsten Dankeschöns an Christian, Markus und Ruven - unsere Besten.

Die Abschiedsstimmung ist deutlich spürbar. Einige haben uns bereits verlassen, manche wortlos, manche spurlos, manche mit herzlichen Umarmungen. Da ich zu denen gehöre, die Markus gebeten haben, doch bitte über Wien direkt nach Venedig weiterzufahren, kann ich mir noch nicht vorstellen, dass diese großartige Reise nun zuende ist. Aber die Stimmung belehrt mich eines besseren. Ich lasse all die Menschen Revue passieren, die mir neben unseren Gruppen Hamburg und Shanghai in all ihrer Verschiedenheit so wichtig geworden waren:

 

natürlich unsere Busfahrer Christian, Markus und Ruven, die mit unerschütterlicher Geduld, hoher Professionalität und dennoch freundschaftlicher Verbundenheit für unseren Transport und unsere Sicherheit zuständig waren;

die Reiseleiter Wolfgang und Rainer, die mit ihren unterschiedlichen Persönlichkeiten, ihrem Sachverstand, ihrem Engagement und ihrer Verbindlichkeit unsere Truppen beisammen hielten;

die lokalen Landesguides Franz, Zula und Larissa, die immer auf ihre Art bemüht waren, uns ihr Land näher zu bringen und die alleine durch ihre Persönlichkeit vieles über ihre Kultur verrieten, ohne es aussprechen zu müssen;

die ZEIT-Korrespondenten Christian Schmidt-Häuer, Prof. Maria Huber, Michael Thumann, Johannes Voswinkel, Alexander Sambuk und Alice Bota, die uns teilweise bis zu 14 Tage am Stück begleiteten und uns immer an ihrem unerschöpflichen Wissen großzügig teilhaben ließen - sei es durch aktuelle, spannende Vorträge, sei es durch persönliche Zweiergespräche oder durch abendliche Runden unterm Mond, in halb zerfallenen Bruchbuden voller Ungeziefer, in edlen Luxus-Bars oder gemütlichen Bier-Kneipen, aber immer erfüllt von Diskussionen und herrlichem Spaß;

die Überraschungsgäste wie Oliver Harms, Frank Sieren oder Xifan Yang, die ebenfalls nie Nein sagten, wenn es um Fragen jeder Art aus Politik und Gesellschaft in China ging;

die Agenturen in den einzelnen Ländern, die uns z.T. in ihren Begleitfahrzeugen vorausfuhren und das Organisatorische regelten (zugegebenermaßen manchmal mehr schlecht als recht);

Manuela Heine und Lisa, die als Vertreter von ZEITreisen und ChinaTours ein echt offenes Ohr für unsere Kritiken hatten und sich schnell in die Gruppen integrierten und letztendlich

Epi, den gegnadeten Mongolen, der mich mit seinem Gedicht so berührt hat und die Wirklichkeit in so wenigen Worten erfasste und aussprach.

 

Viele Menschen haben zum Erfolg dieser Reise beigetragen, wie man schön sehen kann. Geprägt wurde sie aber durch die Reisenden selbst. Zwei Busse voller ausgesprochen unterschiedlicher Menschen waren da unterwegs. Zwei kleine Kosmen von Charakteren wurden einst in Hamburg unwillkürlich zusammengewürfelt und in die Busse verteilt. Eigene Gruppendynamiken entstanden. Und so musste man miteinander zurecht kommen. Was auch insgesamt gesehen gut gelang. Wollte ich jetzt all die kleinen und größeren Geschichten erzählen, wo es nicht gelang, wäre es vergeudete Liebesmüh und absolut unnötig. Entscheidend sind für mich - neben den wundervollen und unvergesslichen Reiseerlebnissen an sich - all die Menschen, die mir in diesen 2 Monaten ans Herz gewachsen sind. Davon gibt es einige und das ist für mich, wie gesagt, das Entscheidende.


Tag 56

29. August 2018

 

Es ist endgültig: wir reisen ab.

Zwar haben wir uns auf der Rückreise von Hamburg nach Freiburg noch ein paar Termine dazu genommen (Geburtstagsüberraschung für Bernd bei Osnabrück, Geschäftstermin Manfred in Frankfurt), aber das Dahinzockeln ist für uns nun ja wirklich kein Thema mehr.

 

Obwohl: in Frankfurt setzt sich dieser kleine Falter auf einen Nachbarreifen und aufgrund seiner Schönheit komme ich ins Grübeln. Vielleicht sollte man doch öfter innehalten! Und genauer hinschauen, wo sich sonstige Schönheit wohl noch verbirgt.

Aber das ist wieder ein anderes Thema...


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Kommentare: 26
  • #1

    Gudrun (Freitag, 06 Juli 2018 10:00)

    Ihr Lieben,

    die Reise geht gut los! Alles Liebe zum Hochzeitstag. Ich wünsche Euch, Antworten auf Fragen zu finden, die Ihr Euch noch gar nicht gestellt habt.
    Und einfach Bereicherung.
    Schön, dass Ihr uns hier im deutschen Alltag auf Eure aufregende Reise mitnehmt.

    Liebe Grüße
    Gudrun

  • #2

    Birgit (Freitag, 06 Juli 2018 19:56)

    Lieber Bruder, liebe Schwägerin,

    alles Gute zum Hochzeitstag.
    Wenn es so losgeht, kann es ja nur besser weitergehen.
    Viel Spaß und kommt gesund wieder zurück

    Alles Liebe
    Birgit

  • #3

    Anna (Sonntag, 08 Juli 2018 11:33)

    Schon jetzt wieder so schön mitreißen zu dürfen. Habt eine tolle Zeit ❤️

  • #4

    Ute (Montag, 09 Juli 2018 12:16)

    Herzlichen Glückwunsch zu Deinem Gebiurtstag lieber Manfred, laß Dich feiern (wir sind sicher das Du das tust :-) )und genieße die Eindrücke an diesem besonderen Tag. Ansonsten genießen wir es wieder sehr an Eurer spannenden Reise soweit teilzunehmen wie es der Blog zuläßt. Ganz liebe grüße vom See Ute und Günter

  • #5

    Anke (Montag, 09 Juli 2018 13:42)

    Alles Liebe euch und für Manfred auch noch einen erlebnisreichen und schönen Geburtstag.... wenn ich richtig informiert bin!!
    Wunderschöne Bilder und Texte... ich fühle mich quasi wie auf dem Sitz neben euch!!! Liebste Grüße, eure Anke

  • #6

    Gudrun (Montag, 09 Juli 2018 21:31)

    Ihr lieben Reisenden,
    hier noch ein Tipp von Meister Kong (Konfu-Tse): "Wohin du auch gehst, geh mit deinem ganzen Herzen."
    Der war schon schlau. Aber ich glauber Ihr seid es auch.
    Und dann noch ein Dankeschön an Meister Mie (Mie-Tse) oder war es Picasso?: "Wenn es nur eine einzige Wahrheit gäbe, könnte man nicht hundert Bilder über dasselbe Thema malen."
    Gute Weiterreise :-)
    Gudrun

  • #7

    Gudrun (Mittwoch, 11 Juli 2018 00:04)

    Ihr Lieben,
    wenn ich mir die Fotos so anschaue, drängt sich mir eine Frage auf: Haben die armen chinesischen Kinder alle denselben Friseur? Oder gehört es zum allgemeinen Usus, beim Haareschneiden einen Topf zu verwenden? Da mir dieser Haarschnitt aus mitteleuropäischen Lebenswelten wohlbekannt ist, lerne ich heute: Bei aller Liebe zu ihren Kindern, wenn es um Frisuren geht, sind Eltern weltweit wohl eher pragmatisch veranlagt.
    Lieber Gruß
    Gudrun

  • #8

    Silke (Mittwoch, 11 Juli 2018 06:32)

    Wie wunderbar liebe Claudia, dass du uns wieder mitreisen lässt....dieser morgendliche Nebel, die Sonne, die sich doch ihren Weg bahnt, diese liebevoll beschriebenen Details, es ist schön, "dabei" sein zu dürfen. Liebe Grüße, Silke Klimm

  • #9

    Heike (Mittwoch, 11 Juli 2018 13:33)

    Ich bin auch dieses Jahr wieder sehr gerne mit "Euch zusammen unterwegs" und lese genüsslich Dein Reisetagebuch. Es ist wunderbar. Liebe Grüße Heike Schwelm

  • #10

    Brigitte Sautermeister (Mittwoch, 11 Juli 2018 18:54)

    Ich freue mich sehr auf die weiteren Blogbeiträge sowie die tollen Bilder und wünsche eine schöne Reise mit vielen Eindrücken! Bin sehr gespannt auf die Erlebnisse auf dieser wirklich besonderen "Expedition"
    Herzliche Grüße vom Hotzenwald
    Brigitte

  • #11

    Lisel (Donnerstag, 12 Juli 2018 15:37)

    Ja Hallo Du Weltenbummlerin

    Mit großer Freude reise ich ein wenig mit Euch mit, wenn ich Deine Blogeinträge verfolge. Du hast eine bemerkenswerte Art uns an Eurer Erlebnisreise teilnehmen zu lassen. Die Lebendigkeit in Deinen Zeilen macht schon jetzt richtig neugierig auf den nächsten Beitrag.
    Ganz herzlichen Dank dafür.

    Liebe Claudia, ich wünsche Dir alles was Du Dir für Deine Reise wünschst, und ich freue mich schon jetzt auf unser Wiedersehen.
    Fühle Dich aus der Ferne mal ganz lieb gedrückt.
    Auf bald wieder, Lisel

  • #12

    Gudrun (Freitag, 13 Juli 2018 23:29)

    Ihr Lieben,
    Essen ist nicht wirklich wichtig. Hahahaha.
    Natürlich doch.
    Also: Eine Challenge für Euch. Bringt bitte 3 Eurer Lieblingsrezepte mit.
    Und kocht sie für uns (sofern keine Hühnerfüße, Entenköpfe oder Welpen darin vorkommen).
    Das finde ich durchaus angemessen. Schließlich sitzen wir hier in Deutschland und unser Highlight ist die WM. Allez les Bleus Blances Rouges und liebe Grüße.


  • #13

    Gudrun (Sonntag, 15 Juli 2018 21:37)

    Ihr Lieben,

    mit dem Glück und den Wünschen ist es also so eine Sache, q.e.d.
    Die Lösung ist also wunschloses Glück. Und ihr habt es. Im Mittelpunkt der Welt zu stehen, wer kann das schon von sich sagen? Ihr steht jedenfalls auch im Mittelpunkt von vielen guten Gedanken. Schön, dass so viele mit Euch reisen :-)
    Ich drücke Euch
    Gudrun

  • #14

    Anna (Sonntag, 22 Juli 2018 08:34)

    Zum einen ist es mir immer wieder ein wahres Fest eure Schildungen zu lesen (Mutti, Schreiben kannst du einfach) zum anderen erfreuen mich Tante Gudruns Weisheiten gar sehr :). Lasst es euch weiter gut gehen, ihr lieben ♥

  • #15

    Gudrun (Sonntag, 22 Juli 2018 19:35)

    Ihr Lieben,
    gestern lief eine Dokumentation im Fernsehen über einen finnischen Reisenden in der Mongolei. Die Mongolen scheinen ein lustiges Völkchen zu sein. In der Reportage wurde über die unendliche Reise durch Wüstenlandschaften berichtet. Und mitten drin eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 80 km/h. Für eine Strecke von 40 Metern. Und bei Euch war es der Zebrastreifen.
    Wer weiß, wer da geschützt wird. Wüstengeister, die wohlbehalten über die Straße schweben sollen?
    Oder war es den Straßenplanern einfach langweilig? Und nach einem Krug gegorener Kamelmilch haben sie einfach kleine Schilder und Zebrastreifen in die Landschaft geplant?
    Diese Art von Humor gefällt mir :-)
    LG Gudrun

  • #16

    Birgit (Dienstag, 24 Juli 2018 22:04)

    Hallo, Ihr zwei Weltreisenden,
    scheint ja wieder ein voller Erfolg zu sein, eure Reise, sehr eindrucksvoll und interessant.
    Wieder tolle Geschichten und Bilder.Habt weiter viel Spaß und bleibt gesund.
    Ganz liebe Grüße
    Birgit

  • #17

    Hanna (Donnerstag, 26 Juli 2018 09:11)

    Ich freue mich sehr an dieser spannenden, besondere Reise dabei sein zu können! Claudia, deine Erzählungen sind einfach toll! Genießt die Zeit und kommt bald wieder zurück! Wir vermissen euch:) liebste Grüße aus Freiburg :)

  • #18

    Günter (Freitag, 27 Juli 2018 10:57)

    Hallo Ihr Lieben,
    Danke liebe Claudia für Deine Reisebeschreibungen über Eure Erlebnisse und Eindrücke, auf die ich fiebernd jeden Tag warte. Bewundernswert, welche Erfahrungen Ihr Euch wieder zutraut und was Ihr alles zu verdauen habt, körperlich und geistig. Von hier, trotz Deines ausschmückenden Schreistils, nur nachvollziehbar bis an die Grenzen der eigenen Erfahrungen. Deine Berichte ermuntern mich den Weisheiten in einer vor kurzem gelesenen Kolumne zu folgen: ‚Hast Du Geld anzulegen, investiere in Erfahrungen‘. Diese könnt Ihr nicht verlieren. Toll, wie Ihr das macht. In diesem Sinne viele weitere Erlebnisse und Eindrücke. Noch einmal vielen Dank, dass ich so nah dabei sein darf. Kommt gesund zurück und dann hoffe ich auf einem intensiven Gedankenaustausch.
    Alles liebe vom heißen Bodensee
    Günter (und Ute)

  • #19

    Gudrun (Freitag, 27 Juli 2018 17:47)

    Ihr Lieben,
    bin sicher, schonmal davon gehört zu haben, weiß es aber nicht mehr sicher: Was genau ist das - dieser sogenannte Regen?
    Grüßle
    Gudrun

  • #20

    Gudrun (Dienstag, 31 Juli 2018 19:13)

    Liebe Claudia,
    während wir uns hier auf Manfred freuen, machst du nun ein Stück Weg alleine. Ich wünsche dir, dass die Gesundheit dich wiederfindet und du endlich durch Birkenwälder schlendern kannst. Und Obacht, wie sagt doch ein sibirisches Sprichwort: Bei uns ist es neun Monate im Jahr kalt
    und drei Monate saukalt.
    Lass es dir gut gehen.
    Liebe Grüße
    Gudrun

  • #21

    Manfred (Samstag, 04 August 2018 21:23)

    Liebe Claudia,
    gerade haben Bernd und Steffi gesagt:
    Du solltest Schriftstellerin werden.
    Du schreibst unglaublich lebendig und authentisch. Es ist herrlich. Ich vermisse Dich und freue mich auf Moskau.
    Dein Manfred

  • #22

    Gudrun (Donnerstag, 09 August 2018 09:09)

    Liebe Claudia,
    wie kommt es eigentlich, dass Ihr immer so viele Kilometer fahrt. Auf der Karte ist doch sehr ersichtlich, dass Eure Zielstädte sehr nahe beieinander liegen! Da stimmt was nicht.

    Die Birkenwälder haben mich zum Nachdenken gebracht. Für mich eine neue Erkenntnis: Die sibirische Birke unterscheidet sich von der mitteleuropäischen.
    Während in Sibirien die Birken schwarz-weiß sind, sind sie hier doch deutlich mehr weiß und grün. Gibt es etwas Schöneres und Zuversichtlicheres als ein Frühlingstag, an dem die Birkenblätter gutgelaunt tanzen?
    Zur Birke meint unser Johann Wolfgang: "Daher kommt es denn auch, daß man der Pflanzenwelt eines Landes einen Einfluß auf die Gemütsart seiner Bewohner zugestanden hat. Und gewiß, wer sein lebenlang von hohen ernsten Eichen umgeben wäre, müßte ein anderer Mensch werden, als wer täglich unter luftigen Birken sich erginge."
    Sollten die Sibirer da nicht ein heiteres Völkchen sein? Oder ist die sibirische Birke dann doch irgendwie schwarz-weißer?

    Liebe Grüße
    Gudrun

  • #23

    Gudrun (Samstag, 11 August 2018 08:22)

    Liebe Claudia,
    dein Reiseblues sei dir gestattet, denn
    1. es ist nicht erbaulich durch apokalyptische Landschaften zu fahren und
    2. seit dem 4..7.2018 hast du sicherlich schon 7562 Kilometer Fahrt hinter dir, mit 589 Menschen gesprochen und 325 verschiedene Speisen gegessen und
    3. die 45890287 Eindrücke dieser Reise wollen auch erst einmal verarbeitet werden.
    Aber ich bin sicher: morgen kommt dieser eine Augenblick, der dich wieder glücklich machen wird.
    1000 ganz liebe Grüße und eine Umarmung
    Gudrun


  • #24

    Gudrun (Donnerstag, 16 August 2018 10:38)

    Liebe Claudia,

    bin gespannt auf deinen neuen Russian Style! Die Sonnenbrille ist schon mal typgerecht - weiter so!

    LG Gudrun

  • #25

    Gudrun (Freitag, 24 August 2018 14:36)

    Liebe Reisenden,

    jetzt beneide ich um Eure Etappe durch die baltischen Staaten. Menschen, die halbe Häuser bauen, Schiffschaukeln im Garten, kleine Knoblauchschreine und Räucherwerk auf dem Plumpsklo - wie sympathisch!
    Ich gehe jetzt sofort in den Garten ernte Knoblauch. Und - ach - was war mit dem Saunahäuschen? Habt Ihr da nicht über eine neue Nutzungsmöglichkeit nachgedacht? Ich könnte auch einen schönen Teppich häkeln.
    Lieber Gruß aus der Heimat

  • #26

    Hanne (Samstag, 08 September 2018 16:48)

    Liebe Claudia,
    Ich danke Dir von ganzem Herzen für die Beschreibung unserer gemeinsam erlebten Reise. Schön, das ich Dich kennenlernen durfte und ich freue mich sehr auf ein baldiges Wiedersehen mit Dir und Manfred in Hamburg. Deinen Blog werde ich ausdrucken und in mein Roadbook nehmen. Das macht die Erinnerung noch lebendiger.
    1000 Dank und eine herzliche Umarmung - Hanne